Klimadiskurs.NRW

Wir containern – und erzeugen den frischesten Salat in NRW


am 28.04.21 von Pascal Biesenbach gepostet

Mit 150 Litern Wasser können wir ein erholsames Bad nehmen, 180 Kannen Tee zubereiten – oder 1.500 Kilogramm Salat herstellen. Auf zwölf Quadratmetern, ohne Pestizide, ohne Erde. Im Klimaquartier Arrenberg steht einer von zwei Prototypen, in denen das funktioniert. Die Ernte kann ungewaschen sofort gegessen werden. Frischer geht es nicht.

Ein Beitrag von Pascal Biesenbach

© Gunnar Bäldle

Das Klimaquartier Arrenberg entwickelt und realisiert seit 2015 verschiedene Projekte und Strategien zur klimaneutralen Stadtentwicklung in den Bereichen Ernährung, Mobilität und Energie. Die Ansätze reichen dabei von wiederkehrenden Aktionen wie dem Restaurant Day, bei dem im ganzen Viertel für einen Tag lang Pop-up-Restaurants entstehen bis zu dauerhaften Prozessen wie Foodsharing und solidarischer Landwirtschaft. Darüber hinaus wird am Arrenberg anwendungsbezogen geforscht: zu CO2-armem Stromverbrauch, kreislaufbasierter Produktion, intelligenter Nahwärme oder virtuellen Kraftwerken, also der Zusammenschaltung von dezentralen Stromerzeugungseinheiten wie etwa privaten Solaranlagen.

Zusammen mit einem schwedischen Tech-Start-Up befinden wir uns gerade in der Testphase eines Prototypen zum vertikalen Gemüseanbau unter konstanten Anbaubedingungen. Hierfür wurde ein Schiffscontainer in ein hochfunktionales Produktionsmodul umgebaut. Im Innenraum können alle Parameter von Lichtzusammensetzung und Beleuchtungsintervall, über Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder CO2-Konzentration bis hin zur Wasser- und Nährstoffzufuhr konstant geregelt und im gewünschten Rahmen gehalten werden. Der Container bildet auf diesem Wege eine eigene Klimazone, in der 24h optimale Wachstumsbedingungen herrschen.

Kleiner CO2-Fußabdruck und das Lösen großer Probleme

Betrieben wird der Container mit einem hohen Anteil an vor Ort produziertem Solarstrom. Das gegenwärtig in Erprobung befindliche System hat einen Verbrauch von 150 kWh/t, umgerechnet entspricht das 0,064 kWh pro Salatkopf. Die im Hintergrund in Entwicklung befindlichen Nachfolgemodule werden kontinuierlich weniger verbrauchen. Dennoch müssen wir uns die grundsätzliche Frage stellen: Ist es sinnvoll, Sonnenenergie in elektrische Energie zu wandeln, um sie im nächsten Schritt wieder in Licht zu wandeln? Wir denken, diese Frage ist von vielen Parametern bzw. der jeweiligen Prioritätensetzung abhängig. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Energiewende und Elektrifizierung der Gesellschaft wird hier eine Technologie zur Marktreife entwickelt, die folgender Abwägung folgt:

Wenn Wasser, Dünger und Fläche zunehmend knappe Ressourcen werden und Lieferketten überproportional lang und komplex sind, während gleichzeitig der Anteil Regenerativer Energien steigt, dann können solche Produktionsverfahren genau diese Probleme adressieren. Ressourcen werden effizient und lokal genutzt, Lieferketten vereinfacht und ein unmittelbarer Bezug zwischen Produkten und Konsumenten ermöglicht. Auch Harvest on Demand Modelle sind auf diesem Wege umsetzbar und bieten Retailern vor Ort neue Angebotsmöglichkeiten. Ganz davon zu schweigen, dass wir weltweit zunehmende Herausforderung in Bereichen Schädlingsbekämpfung (und dadurch sinkender Biodiversität), Bodendegradation oder Überdüngung erleben. Durch geschlossene, erdlose Systeme haben wir einen Ansatz, wie wir diese Probleme lösen. In unserer Abwägung kommen wir daher zu dem Schluss: Machen. Und schmecken lassen.

Lokal, effizient, gesund

Jeder Liter Wasser, der in das System eingespeist wird, verlässt dieses als essbares Gemüse. Mit einem monatlichen Ertrag von ca. 3.600 Köpfen, bzw. 1,5 Tonnen Salat auf gerade einmal zwölf Quadratmetern ist das System zudem hochgradig Flächensuffizient und damit hervorragend für innerstädtische Anwendungen geeignet. Durch den Ansatz, den Ort der Produktion so nah wie möglich an den Ort des Konsums zu bringen, ergeben sich enorme Potenziale für die Verkürzung von Lieferketten und die Entlastung „der letzten Meile“.

Das Verfahren bringt noch einen weiteren immensen Vorteil: die Frische der Erzeugnisse. Der Salat wird mitsamt einem Teil des Wurzelwerks geerntet. Dadurch können Verbrauchende ihn Zuhause in Wasser noch über Tage frisch halten. Und weil keinerlei Schädlingsbekämpfungsmittel zum Einsatz kommen und der Salat unter streng überwachten Bedingungen aufwächst, muss er nicht einmal gewaschen werden. Das bietet Vorteile auch aus Ernährungsphysiologischer Sicht.

Große Zustimmung im Quartier, bald geht der Salat in den Einzelhandel

Seit Anfang Januar befindet sich der Prototyp im Klimaquartier. Die bisherigen Erträge geben wir im Rahmen des vereinseigenen Foodsharings im Quartier aus, um Feedback zu bekommen. Die Rückmeldungen sind überwältigend positiv. Die Arrenberger:innen freuen sich über ihr erstes „eigene“ Lebensmittelreihe an verschiedenen Salatsorten und sind von Geschmack und Frische begeistert. Ab Mai werden wir erste Versuche mit dem Verkauf der Erzeugnisse im lokalen Einzelhandel machen und eine breit angelegte Verbraucherakzeptanz erheben. Gastronomie und Cateringbetriebe werden folgen.

Solche Lösungen wachsen eingebettet in ein eigenes Innovations-Ökosystem

Der Container bettet sich in das Forschungsprojekt „Urbane Produktion“ ein, in dem insgesamt 17 Organisationen nachhaltige Produktionsverfahren entwickeln und erproben. Am Arrenberg liegt der Schwerpunkt in diesem Projekt auf der Entwicklung einer Blaupause für kreislaufbasierte urbane Nahrungsproduktion: „Close the Loop“. Unser Ziel ist das Schließen von Kreisläufen in einer neuen Generation Urban Farming. Dies beinhaltet Aquakulturen, Pilzproduktion und die für unsere mitteleuropäische Esskultur noch ungewohnten Insekten als Teil der Nahrung. In der Gesamtkomposition ergeben sich vielversprechende Wechselwirkungen in der Produktion und ein sehr breites Angebot an New Urban Food für die Konsumierenden. Informationen zu diesem und anderen Projekten des Klimaquartiers unter www.arrenberg.de

Pascal Biesenbach ist Vorstandsmitglied des Klimaquartier Arrenberg, einem Projekt des Vereins Aufbruch am Arrenberg e. V. in Wuppertal.

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