Klimadiskurs.NRW

Klimaheiler Homeoffice? Vielleicht.


am 31.08.20 von Ingo Wagner gepostet

Corona wirkt wie eine Lupe. Einerseits im Sinne eines Vergrößerungsglases, das bestimmte Bereiche unseres Lebens in der Wahrnehmung anwachsen, ihre Bedeutung ansteigen oder den Raum in der öffentlichen Debatte anschwellen lässt, beispielsweise bei Fragen des ÖPNV, die auch in unserem Juli-Newsletter beleuchtet wurden. Andererseits im Sinne eines Brennglases, das viele Bereiche oder Vorgänge auf einen Punkt konzentriert, der dadurch hell erleuchtet wird, aber gleichzeitig droht zu überhitzen, wie zum Beispiel die Verlagerung des gesamten Lebens in die eigenen vier Wände.

Welche Folgen diese Effekte letztendlich haben oder ob wirklich Lehren daraus gezogen werden können, lässt sich heute noch nicht abschließend abschätzen. Zahlen müssen gesammelt und Studien durchgeführt werden. Nach einem halben Jahr mit Corona in Deutschland, lohnt sich dennoch ein genauerer Blick auf die entstandene Dynamik, nicht um alle Antworten zu finden, sondern um die richtigen Fragen zu stellen. Dabei soll es heute um den Bereich gehen, der seit Monaten in aller Munde ist: das Homeoffice.

Im April 2020 waren die Straßen leer. Das lag auch daran, dass es keinen Einkaufsverkehr oder Tourismus gab. Klar ist aber auch danach, dass jeder Tag im Homeoffice Wege spart. Offen ist, ob Homeofficetage signifikant konzentriert werden (z.B. auf Montag und Freitag). Durch eine möglichst gleichmäßige Verteilung (u.U. unterstützt durch flankierende Maßnahmen) könnten Verkehrsspitzen in der Breite abflachen und so die entsprechenden Kapazitäten auf der Straße beschnitten aber auch die Investitionen in den ÖPNV effizienter ausgestaltet werden. Offen bleibt, ob Homeoffice für sich einen Umstieg auf andere Verkehrsmittel fördert. Beim ÖPNV überlagert der Coronarückgang sicherlich jeden versteckten Positivtrend. Beim Rad könnten die vielen Neukäufe auch der geänderten Freizeitgestaltung geschuldet sein.

Was ist mit dem Energieverbrauch? Wer mehr daheim ist, verbraucht mehr Energie in den eigenen vier Wänden. Die Nutzung der Arbeitsgeräte zu Hause, Nahrungsmittelzubereitung und die allgemeine Wohraumnutzung erhöhen den Bedarf. Hinzu kommt im Winter die zusätzliche Wärmenachfrage. Im Gegenzug sinkt wohl der Gerätestromverbrauch im Büro, ebenso wie nutzungsbedingte Lasten. Ob das veränderte Essverhalten andernorts zu Einsparungen führt, darf bezweifelt werden. Das Büro muss oft trotz Homeoffice geheizt werden. Homeoffice heißt nicht nur die Anwesenheit daheim, sondern auch die Nutzung eines zweiten Arbeitsplatzes. Der Laptop ist mobil, aber bereits der zweite Bildschirm, der für viele inzwischen dazu gehört, ist ein Zusatzgerät, unter Umständen nicht das einzige. Wie groß und wie stabil ist diese Nachfrage? Wie viel graue Energie stellt sie dar und wie beeinflusst sie unseren Ressourcenbedarf?

Auch unsere grundsätzlichen Anforderungen an Wohnraum werden sich dem Homeoffice anpassen müssen. Viele Menschen haben auf Raum für Büro oder Arbeitsecke verzichtet, aber Corona hat gezeigt, dass das Arbeiten vom Küchentisch oder gar dem Bügelbrett keine Dauereinrichtung sein kann. Homeoffice dürfte den Bedarf an größeren oder zumindest anders zugeschnittenen Wohnungen steigern und dem Trend zur Kleinstwohnung entgegenwirken. Mehr Wohnraum heißt aber auch mehr Energieverbrauch. Zugleich steigt der Flächenbedarf in den Städten weiter an und spätestens mit Blick auf die Quadratmeterpreise stellt sich die soziale Frage.

Darüber hinaus könnte man mit Blick auf die aktuellen Temperaturen vermuten, dass viele Wohnungen auch aus anderen Gründen nicht Homeoffice-ready sind und der Bedarf an Klimaanlagen oder zumindest der Energiebedarf vorhandener und zukünftiger Anlagen beim Arbeiten in den eigenen vier Wänden steigt. Erste Untersuchungen zeigen auch ein erhöhtes Müllaufkommen, insbesondere was Verpackungen angeht. Bei beiden Punkten bleibt fraglich, ob ein Minderbedarf im Büro die Trends ausgleicht.

All das sind offene Fragen, die wir jetzt erst langsam und Stück für Stück beantworten können. Wir brauchen diese Antworten. Wir brauchen sie, um den tatsächlichen Effekt des Homeoffice zu bestimmen, um Homeoffice möglichst gut zu gestalten und auch weitere Planungen gerade in der Stadtplanung anzupassen. Dabei steht keine der Fragen oder Antworten für sich. Greenpeace hat vor wenigen Tagen eine Studie veröffentlicht, die zum Schluss kommt, dass der Effekt von Homeoffice aufs Klima positiv ist. Die Studie beantwortet oder bearbeitet aber mitnichten die Frage, wie viele CO2-Emissionen sich durch Homeoffice einsparen lassen. Sie konzentriert sich auf Einsparungen im Verkehrsbereich. Für einige der angesprochenen Fragen arbeitet sie mit Annahmen, andere bleiben unberücksichtigt. Das macht sie nicht zu einer schlechten Studie, das heißt lediglich, dass es noch viel mehr zu tun gibt, bevor wir die übergreifende Frage gänzlich beantworten können. Corona hat weite Teile der arbeitenden Gesellschaft in die eigenen vier Wände gezwungen und eine Art riesiges Reallabor geschaffen. Wir haben jetzt die Möglichkeit genau hinzuschauen und alle Facetten zu beleuchten. Dann sollten wir das auch tun. Wir als KlimaDiskurs.NRW freuen uns darauf. Grüße aus dem Düsseldorfer Homeoffice.

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