Klimadiskurs.NRW

Mehr Nachhaltigkeit durch weniger Bürokratie wagen


am 23.06.22 von Holger Glinde gepostet

Die Chancen und Möglichkeiten des zirkulären und nachhaltigen Wirtschaftens enden in Deutschland nicht selten da, wo Bürokratie in Form von Verordnungen und Regelwerken beginnt. Während bei unseren Nachbarländern gerade im Hinblick auf das nachhaltige Bauen „viel geht“, gibt es in Deutschland häufig Bedenken, ob denn alles gesetzes- und regelkonform ist. Und dies verhindert einfache und pragmatische Lösungen. Wiederverwendung, Instandsetzung und Recycling, aber auch nachhaltige Innovationen werden durch Bürokratie oftmals unnötig erschwert. Auch die Feuerverzinkungsindustrie in Deutschland, die als Oberflächenveredler der stahlverarbeitenden Industrie schwerpunktmäßig für den Bausektor tätig ist, kennt die Problematik aus ihrem Umfeld.

Wiederverwenden dürfen
Während im europäischen Ausland beispielsweise bereits heute Stahlträger und Stahlbaukonstruktionen aus Gebäuden rückgebaut und erneut eingesetzt werden, scheitert dies in Deutschland an bürokratischen Barrieren mit der Folge, dass statt auf Wiederverwendung auf Recycling gesetzt wird. Dabei steht die Wiederverwendung in der Abfallhierarchie über dem Recycling. Denn durch Wiederverwendung wird im Falle des Stahls auf das Einschmelzen verzichtet und damit in erheblichem Maße CO2 eingespart. Sind die Stahlteile feuerverzinkt, dann ist der Stahl dauerhaft vor Rost geschützt und damit auch nach Jahrzehnten so gut wie am ersten Tag. Mit anderen Worten heißt das, verhindert man langfristig das Rosten des Stahls, dann ist er fast unendlich lange (wieder)verwendbar. Stahl-Recycling wird somit vielfach unnötig.

Abb. 1: 165 Tonnen feuerverzinkter Stahl wurden im neuen Biopartner 5-Labor wiederverwendet.


Die Nachbarn machen es besser
Auch werden die Chancen des Instandsetzens (Remakes) nicht ausreichend genutzt, obwohl auch hier sehr einfach CO2-Einsparungen möglich wären. Dies zeigt unser Nachbarland, die Niederlande. Dort werden seit einiger Zeit rückgebaute Autobahn-Schutzplanken neuverzinkt. 112 kg CO2 wird laut einer Studie von CE Delft hierdurch pro Meter Schutzplanke im Vergleich zur Neuware eingespart. In Deutschland ist diese sinnvolle Lösung bisher nicht möglich. Dabei könnten bei 13000 Autobahn-Kilometern und 38000 Landstraßenkilometern in Deutschland auf diese Weise langfristig Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.


Sortenreinheit vs. Recyceln
Beim Material-Recycling besteht ebenfalls Handlungsbedarf. Denn so lange die Verwendung von recycelten Werkstoffen durch strenge Regelungen wie beispielsweise der EU-Chemikalienverordnung REACH oftmals nicht möglich ist, werden wesentliche Steigerungen beim Rezyklat-Anteil kaum erreichbar sein. Das gilt auch für das Metall Zink, das unter anderem zum Feuerverzinken verwendet wird. Recycelte Metalle wie Sekundärzink haben zumeist einen geringen Anteil an Begleitelementen, können aber mit rund 95 Prozent weniger Energie wie das entsprechende Primärmetall hergestellt werden. Hier müssen wir entscheiden, was wir wollen. Entweder die bisherigen hohen Anforderungen an die Stoffreinheit beibehalten oder eben durch Recyclingrohstoffe nachhaltiger werden. Beides gleichzeitig geht in der Praxis zumeist nicht.


Bürokratie verlangsamt Innovationen
Vielfach verlangsamt Bürokratie Innovationen. Lange war beispielsweise die Zusatznutzung von Agrarflächen für die Solarstromproduktion nicht möglich, weil sie unter anderem im Widerspruch zu Flächennutzungsplänen oder EEG-Einspreisevergütungen stand. Hier gibt es seit einigen Wochen durch das sogenannte „Energiesofortmaßnahmenpaket“ („Osterpaket“) den Willen der Politik die sogenannte Agri-Photovoltaik zu forcieren und damit den Ausbau der Solarstromproduktion deutlich zu beschleunigen. Auch wenn die positive Veränderung zu begrüßen ist, macht das Beispiel deutlich, dass sinnvolle Klimaschutzaktivitäten ohne staatliche Zustimmung vielfach nur schwer umzusetzen sind. Bürokratie erschwert damit privatwirtschaftliche Initiative.

Abb. 2: Agri-Photovoltaik kombiniert Landwirtschaft mit Solarstromproduktion auf derselben Fläche. (Foto: MKG Göbel Solutions)

Wenn wir in Deutschland und Europa unsere Klimaziele erreichen wollen, dann gelingt das nur, wenn wir den Mut haben Bürokratie abzubauen. Das heißt nicht, alles Regulative wie das Kind mit dem Bade auszuschütten, sondern mit Augenmaß zu agieren und gerade mit Blick auf Regelungen und Standards, die dem zirkulären und nachhaltigen Wirtschaften entgegenstehen, abweichende Ausnahmen möglich zu machen. Ohne Bürokratie-Abbau wird eine erfolgreiche Nachhaltigkeitstransformation kaum zu bewerkstelligen sein.

Holger Glinde ist Leiter Branchenkommunikation, Nachhaltigkeit, Politik und Strategie beim Industrieverband Feuerverzinken e.V.

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