Ein Abschied und ein ‚Weiter so!‘ von Dr. Sophia Schönborn
Wer hätte im Jahr 2000 zur Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes durch die Rot-Grüne Bundesregierung gedacht, dass im Jahr 2019 die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien die der Braun- und Steinkohlekraftwerke deutlich übersteigen würde? Dass wir heute an einer Verkehrs- und Wärmewende arbeiten und dass sich Industrie, Umweltverbände, Gewerkschaften, Wissenschaft, Kirchen und Wirtschaft in einem Verein wie KlimaDiskurs.NRW langfristig zusammentun? Damals galten die Klimaschützer als ‚Ökospinner‘, verschrobene Tüftler und Langzeit-Engagierte aus der vergangenen Umwelt- und Anti-Atomkraftbewegung. In meiner Forschung und zahlreichen Interviewreisen habe ich mit besorgten Eltern und Großeltern, Pfarrern, mit engagierten RenterInnen, Bürgermeistern, UnternehmerInnen, WissenschaftlerInnen oder Bäuerinnen gesprochen. Es zeigt sich, dass wir es damals schon mit einem diversen Akteursspektrum zu tun hatten, das auf unterschiedlichen Wegen innovativ eine konkrete Antwort auf die Herausforderungen der Energiewende gegeben hat. Zum Abschied von KlimaDiskurs.NRW will ich mit dem kurzen Schlaglicht auf meine Dissertation zeigen, dass auch der Blick zurück lohnt: Auf dem vermeintlich steinigen Weg zu den kommenden Klimazielen haben wir als Gesellschaft bereits ein großes Stück geschafft. Sieht man zudem auf die harten Konfliktlinien, die von den 70er bis in die 90er Jahre hineinreichten, haben wir als Gesellschaft schon einen guten Grundstein für die kommende gemeinsame Bewältigung dieser Transformation gelegt.
Die Entwicklung hin zu einer dekarbonisierten Ökonomie kann nicht allein als „technische Konversion“ begriffen werden, da mit dem technischen ein tiefgreifender kultureller Wandel einhergeht (Leggewie 2013: 327). Für diesen, nicht zuletzt durch die internationalen Klimakonferenzen bestätigten und weiterhin angestrebten Epochenwandel sollten Potentiale innerhalb der Gesellschaft ausgemacht werden. Dafür sollten die viel beschworenen Innovationsprozesse nicht nur im wirtschaftlich-technischen, sondern auch im sozialen und kulturellen Bereich erkannt und genutzt werden. Diese Herangehensweise, Innovationen nicht nur Industrie und Wirtschaft zuzuschreiben, ist nicht nur ein wissenschaftlicher (vgl. WBGU 2011), sondern auch ein politischer Konsens (vgl. die SDGs) – der leider in der öffentlichen (Klima-)Debatte immer noch zu kurz kommt.
In meiner sozialwissenschaftlichen Arbeit habe ich über mehrere Jahre genau solche Innovationen qualitativ untersucht, also vor Ort, in Gesprächen, Besuchen, Teilnahmen und vor allem in Interviews mit den Akteuren, mit den NetzwerkpartnerInnen und ggf. GegnerInnen geführt. Diese Innovationen sind nicht zu verstehen als technische Inventionen, die etwa ökonomischen Zwecken dienen, sondern sie umfassen soziale, technische, kulturelle und ökologische Aspekte. BürgerInnen kamen zusammen im Freundeskreis, in der Kirchengemeinde oder als Gruppe besorgter Eltern und erarbeiteten gemeinsame Initiativen, GmbHs, Vereine oder AGs. Diese können auch als bottom-up-Innovationen bezeichnet werden, denn sie haben ihren Ursprung meist außerhalb des beruflichen Umfeldes und sind immer ein Gemeinschaftswerk mit einem übergeordneten Ziel – hier das des Klimaschutzes.
In meinen untersuchten Fallbeispielen zeigt sich ebenfalls die Vielfalt, die ich oben bereits angesprochen habe: Aus der Elterninitiative gegen Atomkraft Ende der 1980er entwickelten BürgerInnen aus den unterschiedlichsten Bereichen im kleinen Schwarzwald-Städtchen (Heimat von Jogi Löw) Schönau ein heute Deutschlandweit etabliertes Ökostromunternehmen, nämlich die Elektrizitätswerke Schönau (EWS). Diese kann man als bundesweite Pioniere bezeichnen und ihre spannende Geschichte zeigt, dass Innovationen immer Konflikte überwinden müssen: Es mussten zwei – nie dagewesene – Bürgerentscheide genommen werden, das Energieunternehmen setzte den Schätzwert des kommunalen Stromnetzes horrend hoch ein und letztlich befand sich das ganze ‚Dorf‘ in einem emotional hoch umkämpften Konflikt („Bald geht der Strom aus!“). Heute ist der Strommarkt liberalisiert (damals kaum denkbar) und viele Kommunen haben ihr Stromnetz wieder zurückgekauft.
Emotionale und politische Konflikte mussten eigentlich alle der Engagierten eingehen, so auch die Unternehmer und Selbständigen, die sich im Freundeskreis intellektuell um eine andere Zukunft Gedanken machten und letztlich mit dem Ziel, die Bodenseeregion ‚100% erneuerbar‘ zu machen, eine neue Form des Stadtwerks erdachten: Das „bürgereigene“ Unternehmen Solarcomplex. Hier wuchs in nur wenigen Jahren ein Unternehmen, das alte Wasserkraftanlagen wieder nutzbar machte, Baden-Württembergs erstes Bioenergiedorf umsetzte und gleichzeitig im engen Diskurs und Austausch mit Wissenschaft, BürgerInnen und Lokalpolitik blieb. Auch dieser Prozess verlief nicht ohne Konflikte – meist mit schon seit vielen Jahren fest eingespielten Strukturen in der Region. In einem anderen Fallbeispiel legten sich die Aktiven sogar öffentlich mit dem Bistum und dem Bischof an (Schmidt in der Eifel): Sie wollten mit eigenen Erneuerbare-Energien-Projekten auf und um die Kirchengebäude herum als Kirchengemeinde eigene Freiheiten erhalten. Hier wurde etwa eine große PV-Anlage auf´s Kirchendach gesetzt und im Bistum erfuhr man in der Presse davon.
Dies ist natürlich nur ein kleines Schlaglicht auf die von mir intensiv begleiteten und untersuchten Fallbeispiele, die im ländlichen und im städtischen Raum von engagierten Leuten hervorgebracht und etabliert wurden. Hinzu kamen noch vor allem ehrenamtlich etablierte Innovationen: Eine Frauengarteninitiative kämpfte mit der Stadt und Bodenaltlasten des Ruhrgebiets, aus einer Kirchengemeinde heraus wurde das Dorf dank einer nun etablierten Erneuerbaren-Energien-Initiative wiederbelebt und eine Lehrerin verbindet mitten in Bottrop Naturbildung mit der Innovation City-Initiative. Sie alle haben gemeinsam, dass die Beteiligten viele Entbehrungen auf sich nehmen, Konflikte eingehen und überwinden, neue Netzwerke knüpfen und einen hohen Einsatz für ‚ihre‘ Sache bringen – die Etablierung der Innovationen war für alle ein steiniger Weg. „The road to realising social innovations is a rocky one, and many are left behind.“ (Brandsen et al. 2016: 310)
Es geht letztlich um die „Keimzellen der Großen Transformation“ (Schneidewind 2018: 460; WBGU 2011), die abseits von einem klassischen Fortschritts- und Technikgedanken entstehen und unabdingbar sind für eine Energiewende und die Transformation in den anderen klimarelevanten Sektoren. Die politischen EntscheiderInnen auf allen Ebenen sind angehalten, diese Innovationen als wichtige Partner ernst zu nehmen und offene Strukturen zu schaffen, die solche Initiativen und die benötigte Vielfalt einbinden und bestenfalls unterstützen. Das heißt auch eine Abkehr von einer allzu oft paternalistisch geprägten ‚Akzeptanzbeschaffung‘: In den Kommunen oder der Region haben solche Initiativen schließlich auch das Potential, nicht nur einen Mehrwert zum Klimaschutz beizutragen, sondern auch Engagement und Sozialkapital einzubringen. Trotz der oftmals auszufechtenden Konflikte geht es hier letztlich auch um eine Stärkung gesellschaftlicher Strukturen, die es braucht, um dem zunehmenden Populismus und Rechtsextremismus etwas entgegenzusetzen.
Vielfalt im Engagement und im Diskurs benötigen wir auch auf anderen Ebenen: Daher braucht es auch nachhaltig solche Zusammenschlüsse, für die KlimaDiskurs.NRW ein sehr gutes und funktionierendes Beispiel ist. Auch hier gehört der Konflikt dazu, macht es spannend und sollte (gerne noch mehr) zum gemeinsamen Weiterdenken und Handeln anregen!
Literatur:
Brandsen, T./ Cattacin, S./ Evers, A./ Zimmer, A. (Hg.) (2016). Social Innovations in the Urban Context, Springer Open.
Leggewie, C. (2013). Prometheus in der Wüste. Wie Energieerzeugung und Regimeformen zusammenhängen. In: Leggewie, C./ Renner, U./ Risthaus, P. (Hg.). Prometheische Kultur. Wo kommen unsere Energien her?, München: Wilhelm Fink, S. 319-340.
Schneidewind, U. (2018). Die große Transformation: Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels, Frankfurt am Main: S. Fischer.
Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) (2011). Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, Hauptgutachten, Berlin.
Dieser Beitrag beruht auf der kumulativen Dissertationsschrift an der Justus-Liebig-Universität Gießen, die am 13.11.2020 erfolgreich im Fachbereich 03 Sozial- und Kulturwissenschaften verteidigt wurde.