Klimadiskurs.NRW

2021 aus klimapolitischer Sicht


am 16.12.21 von Manfred Fischedick gepostet

2021 war zweifelsohne ein wichtiges Jahr für den Klimaschutz. Unabhängig von der weltweit alles bestimmenden Frage nach der Überwindung der Covid19-Pandemie blieb Klimaschutz oben auf der Agenda. Dies gilt für die Fortsetzung der Demonstrationen von Fridays for Future und anderen zivilgesellschaftlichen Institutionen für einen verstärkten Klimaschutz genauso wie für die politische Auseinandersetzung über den besten Weg, die für den Klimawandel verantwortlichen Treibhausgasemissionen zu reduzieren und perspektivisch treibhausgasneutral zu werden. 

© Sebastian Krieger // KlimaDiskurs.NRW

April 2021: Gerichte machen Klimapolitik

Aber der Reihe nach einige Highlights des Jahres: Ende April des Jahres hat ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes für Aufsehen gesorgt. Das Gericht hat die Bundesregierung in die Pflicht genommen, sich stärker für die Belange der jüngeren Generationen einzusetzen und die Treibhausgasemissionen deutlich schneller als bisher über das Klimaschutzgesetz, das zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 17 Monate alt war, festgelegt worden ist zu reduzieren. Wie üblich hat das Gericht der Regierung eine Frist für die Umsetzung der Vorgaben gemacht und dafür Zeit bis Ende 2022 gegeben. Umso erstaunlicher war es, dass die Bundesregierung bereits wenige Wochen nach der Urteilsverkündung deutlich gemacht hat, dass sie das Klimaschutzgesetz kurzfristig nachbessern will und die Novellierung tatsächlich bereits im August 2021 auch formal umgesetzt. Ein in dieser Geschwindigkeit nahezu einmaliger Vorgang und sicher insbesondere auf die nahen Bundestagswahlen im September des Jahres zurückzuführen. Inhaltlich ist beschlossen worden, Treibhausgasneutralität bereits 2045 (statt 2050) erreichen zu wollen und die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65% (statt 55%) senken zu wollen.

Juli 2021: Deutschland erfährt auf drastische Weise Folgen des Klimawandels 

Mitte Juli ist dem Land drastisch vor Augen geführt worden, was Klimawandel bedeutet und mit welchen verheerenden Folgen dieser verbunden sein kann. Im Ahrtal ist nach mehrtägigen Starkregenfällen das beschauliche Flüsschen Ahr über die Ufer getreten und hat Autos, Brücken und ganze Häuser mit sich gerissen. Ein Szenario, das sich bis dato niemand hätte vorstellen können. Die Extremwettereignisse haben im Ahrtal und anderen Regionen Deutschlands mehr als 100 Menschen das Leben gekostet und Schäden in der Größenordnung von rund 30 Mrd. Euro angerichtet. Man kann dies als Weckruf der Natur bezeichnen, der uns deutlich machen sollte, nicht weiter die Frage zu stellen, wie wir Klimaschutz bezahlen können, sondern wie wir die Schäden begleichen können, wenn wir jetzt nicht in Klimaschutz investieren. Zudem macht der Weckruf auch klar, dass Klimaschutz und Klimaanpassung zusammengedacht werden müssen und schon heute mehr zum Schutz der Bevölkerung notwendig ist (inklusiver effektiver Vorwarnsysteme).

Mit der Vorlage des ersten Teil des neuen Sachstandsberichtes des Weltklimarates, das heißt dem Bericht der Arbeitsgruppe I zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen, hat die Community der Klimawissenschaftler im August des Jahres deutlich gemacht, mit welcher Verschärfung der Wetterextreme wir zu rechnen haben, wenn es nicht gelingt, die Treibhausgasemissionen global drastisch zu reduzieren und die Erhöhung der Weltmitteltemperatur gegenüber dem vorindustriellen Niveaus auf 1,5°C zu begrenzen. Schon heute treten Extremtemperaturen, die zuvor nur alle 50 Jahre vorkamen, fünfmal wahrscheinlicher auf, bei Erreichen der 1,5 °C-Schwelle wird dies etwa 8,5 mal so häufig der Fall sein. 

September 2021: Wahlkampfthema Klimaschutz

Im September war Klimaschutz eines der herausragenden Themen bei der Bundestageswahl. Interessant zu beobachten war dabei, dass mit Ausnahme der AfD die Parteien weniger über das ob und auch weniger über das mittelfristige Ziel Treibhausgasneutralität 2045 gestritten haben, sondern in erster Linie über das wie, das heißt über den Instrumentenkasten. Wie viel des Weges kann allein über eine CO2-Preissteuerung erreicht werden und wo muss Ordnungsrecht helfen? Wie stark müssen Technologiepfade vorgegeben werden und zwar sowohl in Bezug auf Technologien, die man nicht mehr einsetzen will als auch solche, die man in die Märkte bringen will und wo braucht es Technologieoffenheit?

Im Oktober und November 2021 hat sich die Staatengemeinschaft, das heißt rund 200 Länder, in Glasgow zur Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention getroffen und dies bereits zum 26. mal. Die Erwartungshaltung an die Verhandlungen war angesichts des sich immer stärker bemerkbar machenden Klimawandels groß. Gleichzeitig war allen bewusst, dass von einem globalen Klimaschutzsteuerungssystem (global climate governance), das auf dem Konsensprinzip beruht, keine Wunder erwartet werden können. In diesem Sinne war die Konferenz vielleicht erfolgreicher als gedacht, denn einerseits konnte nach sechs Verhandlungsjahren endlich das Regelbuch des Paris Agreements verabschiedet werden, anderseits hat eine geschickte Orchestrierung der britischen Konferenzleitung für eine produktive Dynamik gesorgt. Mit dem Abschlussdokument, dem Glasgow Action Plan, setzt die Staatengemeinschaft trotz der zum Teil sehr abgeschwächten Formulierungen (z.B. für Ausstieg aus der Kohleverstromung) ein wichtiges Zeichen für den Willen, das 1,5°C Ziel noch erreichen zu wollen. Noch wichtiger sind aber die zahlreichen bi- und multilateralen Initiativen und sektoralen Vereinbarungen, die Mut machen. Dies umfasst Abkommen von zahlreichen Staaten zur Verringerung der Methanemissionen, zum zukünftigen Verzicht auf Investitionen in Öl-, Gas- und Kohleinfrastrukturen und zum absehbaren Ende des Verbrennungsmotors. Diese Dynamik gilt es jetzt national wie international aufzugreifen, denn es bleibt noch viel zu tun, um den fortschreitenden Klimawandel zu begrenzen.

Winter 2021: Klimaschutz ist zentrales Anliegen der Ampelregierung

Nur kurze Zeit später, das heißt Ende November wurde der Koalitionsvertrag der drei zukünftigen Regierungsparteien SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP vorgelegt. Mehr als 40 Seiten des Vertrags beschäftigen sich mit Klimaschutz- und Energiefragen, was die zentrale Bedeutung des Themas für die jetzt kommende Legislaturperiode ebenso zeigt wie die Zusammenlegung der Verantwortung für Wirtschaft und Klimaschutz in einem Ministerium.

Beherrschte in den letzten Jahren die Diskussion über die richtigen Klimaschutzziele das politische Handeln, ist der Geist des Koalitionsvertrags geprägt von einem klaren aber auch dringend notwendigen Umsetzungswillen. Dies betrifft alle relevanten Sektoren gleichermaßen, wenn auch den Bereich Verkehr deutlich am schwächsten. 

Bemerkenswert ist auch das positive Narrativ des Vertrages. Klimaschutz wird an vielen Stellen als Gestaltungschance verstanden und als Möglichkeit zur Sicherung des Industriestandortes Deutschland. Maßnahmen zum Schutz des Klimas werden nicht als Gegensatz zu industrieller Entwicklung gesehen, sondern zusammengedacht mit einem Deutschland als einem zukunftsfähigen, innovativen und attraktiven Industriestandort, das durch eine Technologieführerschaft in den wachsenden globalen Klimaschutztechnologiemärkten profitieren kann. Damit folgt der Koalitionsvertrag dem European Green Deal-Ansatz der Europäischen Union und formuliert Klimaschutz als Querschnittsaufgabe und integralen Bestandteil aller Politikfelder.

Ohnehin sind es längst nicht mehr nur die Zivilgesellschaft und die Kommunen, die für mehr und schnelleren Klimaschutz eintreten, sondern mehr und mehr auch die Industrie, die sich durch eine konsequente Klimaschutzpolitik dauerhaft Vorteile im Wettbewerb verspricht und heute Treiber des Transformationsprozesses ist.

2022: Folgen auf die gesteckten Ziele die notwendigen Taten?

Was bringt das Jahr 2022 für den Klimaschutz? Verkürzt gesprochen, es ist eine Menge zu tun, was die wenigen Beispiele zeigen. Deutschland übernimmt im Januar 2022 die G7-Präsidentschaft und wird versuchen diese zu nutzen, um das Klimaschutztempo auf globaler Ebene anzuziehen. Ein Instrument dafür könnten und sollten die im Koalitionsvertrag genannten Klimaclubs sein. Sie sollen die Basis dafür schaffen, dass sich Vorreiterländer für den Klimaschutz vernetzen und unter einheitlichen Bedingungen schneller als der Rest der Welt vorangehen. Auf europäischer Ebene geht es um die Umsetzung des „Fit for 55-Programms“, dem klimapolitischen Kern des European Green Deals. Hierfür steht die Überarbeitung und teilweise Neufassung von zahlreichen europäischen Richtlinien auf der Tagesordnung. Die Verabschiedung der EU Taxonomie soll schließlich einen Orientierungsrahmen dafür schaffen, was nachhaltige Investitionen und Geschäftsfelder sind und wird damit Signalwirkung für Kreditvergabe und Anlageverhalten haben.

Für die neue Bundesregierung geht es jetzt um die Umsetzung. Was zu tun ist, ist im Laufe des Jahres 2021 in vier großen Transformationsstudien beschrieben worden. Bei aller Unterschiedlichkeit der Auftraggeber für die Studien, sind sie sich in dem Handlungsrahmen und den robusten Strategieelementen sowie notwendigen Ausbaudynamiken (von zum Beispiel erneuerbaren Energien und Wasserstoff) sehr einig. Ausreden für die Politik gibt es daher jetzt nicht mehr. Es zählt jetzt das Handeln. Daran wird sich die neue Bundesregierung messen lassen müssen.

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