Klimadiskurs.NRW

Eine wissenschaftsbasierte Taxonomie als wirkmächtiges Instrument für die Klimaneutralität


Mit der Aufnahme von Erdgas und Kernenergie in das Klassifizierungssystem nachhaltiger Aktivitäten würde die EU ihren Klimazielen einen Bärendienst erweisen und die großen Potenziale des Instruments ungenutzt lassen.

von Christoph Bals und Christoph Hoffmann, Germanwatch

Seit dem Jahreswechsel war von dem Plan der EU-Kommission, Kernenergie und Erdgas als „nachhaltige“ Aktivität zu klassifizieren, überall zu lesen. Das ist gut und richtig, denn mit der Taxonomie geht es um ein zentrales Instrument auf dem europäischen Weg zur Klimaneutralität. Um ihre Klimaziele zu erreichen braucht die EU Investitionen von rund 350 Milliarden Euro. Die Taxonomie soll dabei helfen, dass AnlegerInnen, Unternehmen und Finanzmarktakteure ihr Geld eher in umwelt- und klimafreundliche Wirtschaftsbereiche und Aktivitäten investieren. Der Zugang zu Investitionskapital für nachhaltige Aktivitäten wird durch die Taxonomie erleichtert und so Kapital aus anderen, klimaschädlichen Aktivitäten umgelenkt. Das Klassifizierungssystem zeigt dem Finanzmarkt für alle Branchen auf, welche Investitionen  – etwa für den Strukturwandel in NRW  – mit den ambitionierten Zielen des European Green Deal vereinbar sind.

Um ihre Klimaziele zu erreichen braucht die EU Investitionen von 350 Milliarden Euro

Die EU schafft mit der Taxonomie ein einheitliches und transparentes System zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Wirtschaftsaktivitäten. Damit kann in Zukunft wirksam Greenwashing verhindert werden. Eine unabhängige Expertengruppe erarbeitete die entsprechenden technischen Kriterien der Taxonomie und stellt so sicher, dass diese dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. Die Themen Kernenergie und Erdgas wurden allerdings schnell zum politisch heißen Eisen. Entsprechend wurden sie aus dem ursprünglichen Rechtsakt der Kommission herausgelöst und zur separaten Behandlung in einen komplementären delegierten Rechtsakt verschoben.

Ein ursprünglich wissenschaftsbasiertes Instrument wird aus politischen Erwägungen zurechtgebogen

Der EU-Taxonomie droht durch die Entscheidung der Kommission zu Erdgas und Kernenergie ein schwerer Glaubwürdigkeitsverlust. Denn die Kommission lässt zu, dass ein ursprünglich wissenschaftsbasiertes Instrument aus politischen Erwägungen einiger Mitgliedsstaaten zurechtgebogen wird. Die Kommission ignoriert die wissenschaftsbasierten Vorschläge des eigenen Beratungsgremiums. Zukünftig würden grüne Labels für Investitionen in die energiepreistreibenden Brennstoffe Erdgas und Kernkraft möglich, was gleichzeitig den Ausbau der preiswerteren Erneuerbaren Energien verzögern dürfte. Hintergrund ist, dass Frankreich mit seinem zentralistischen und auf Atomenergie ausgerichteten Stromsektor unbedingt die grüne Klassifizierung der Kernenergie wollte. Deutschland hingegen hat die Sorge, dass Erdgas als benötigte Brückentechnologie als nachhaltig klassifiziert werden muss, um ausreichend Investitionen in neue Erdgasinfrastruktur zu ermöglichen. Doch mit der Orientierung an diesen energiepolitischen Erwägungen verlässt die Taxonomie ihren wissenschaftsbasierten Weg. Die Notwendigkeit eines begrenzten und vorübergehenden Einsatzes von Erdgas im deutschen Stromsektor rechtfertigt, nicht Erdgas als nachhaltig einzustufen. Erdgas kann als fossiler Energieträger maximal eine kurze Brücke, nicht aber ein grüner Energieträger sein.

EU-Taxonomie war auf gutem Weg, zu einer Blaupause für globalen Standard für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu werden

Die Entscheidung der EU-Kommission ist klimapolitisch aber noch auf vielen anderen Ebenen fatal. Sie sendet auch international ein schlechtes Signal. Weltweit arbeiten viele Länder an vergleichbaren Taxonomien und orientieren sich an Europa. Viele Länder Afrikas sind verärgert darüber, dass europäische Länder den afrikanischen Ausbau von Erdgasinfrastruktur kritisieren und gleichzeitig den Energieträger als grün klassifizieren wollen. Für AnlegerInnen in Deutschland hieße die Einstufung wieder Unklarheit und zusätzlicher Informationsaufwand, wenn sie mit ihrem Geld weder Erdgas noch Kernenergie finanzieren wollen. Es wird also genau das verhindert, was die Taxonomie eigentlich bringen sollte: Transparenz und ein ambitionierter Nachhaltigkeitsstandard. All das ist sehr bedauerlich. Denn mit ihrer ambitionierten Zielsetzung war die EU-Taxonomie auf gutem Weg zu einer Blaupause für globale Standardsetzung für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu werden. Auf diesen Weg gilt es jetzt zurückzukehren. Es liegt nun am EU-Parlament, gegen diesen Rechtsakt zu stimmen.