Klimadiskurs.NRW

Neues Szenario zeigt mögliche Pfade für ein treibhausgasneutrales deutsches Energie- und Industriesystem bis 2045


Die klimapolitischen Ziele Deutschlands erfordern eine schnelle und tiefgreifende Transformation sowohl der Energieversorgung als auch der energieverbrauchenden Sektoren. Eine nun im Rahmen des Forschungsprojekts „SCI4climate.NRW“ veröffentlichte Studie zeigt, wie diese Transformation gelingen kann. Dabei steht die Grundstoffindustrie im Fokus.

von Prof. Dr. Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts und Dr. Sascha Samadi, Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien

Zentrale Herausforderungen für die Grundstoffindustrie

Die Herausforderungen, die sich durch die klimapolitischen Ziele für die deutsche Grundstoffindustrie ergeben, werden durch die aktuelle Energiepreiskrise weiter verschärft. Notwendig ist eine Balance zwischen kurzfristigen Ausweichstrategien auf die hohen Energiepreise und der konsequenten nachhaltigen Gestaltung einer treibhausgasneutralen Industrie. Vor diesem Hintergrund haben Forschende des Wuppertal Instituts das Klimaschutz-Szenario „SCI4climate.NRW-Klimaneutralität“ entwickelt, das nun in dem Bericht „Treibhausgasneutralität in Deutschland bis 2045“ veröffentlicht wurde. An dem Bericht, der im Rahmen des vom Land Nordrhein-Westfalen geförderten Forschungsprojekts „SCI4climate.NRW“ erarbeitet wurde, hat auch das Institut der Deutschen Wirtschaft mitgewirkt. 

Das in der Studie vorgestellte Szenario beschreibt einen möglichen Entwicklungspfad, wie Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden kann. Dabei werden die seitens der Bundesregierung im Jahr 2022 angehobenen Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien berücksichtigt. Der Bericht widmet sich insbesondere und intensiver als die meisten bisherigen Klimaschutz-Szenarien den Herausforderungen der Grundstoffindustrien. Die Autor*innen haben vor allem mögliche Transformationspfade für die Branchen Stahl, Zement und Grundstoffchemie analysiert und intensiv mit Unternehmens- und Branchenvertreter*innen diskutiert.

Verschiedene Schwerpunktanalysen der Studie

Zu den ausgewählten Schwerpunkten des Berichts zählen unter anderem der Vergleich von Szenario-Varianten zu möglichen zukünftigen Entwicklungen der Raffinerien in Deutschland sowie eine Analyse der Voraussetzungen für eine deutliche Erhöhung des Sekundärstahl-Anteils. Vor dem Hintergrund der derzeit in Arbeit befindlichen Carbon-Management-Strategie des Bundes ist zudem die im Bericht vorgenommene ausführliche Analyse der Implikationen einer inländischen Nutzung von CO2 für die Herstellung von Kraftstoffen und chemischen Grundstoffen relevant. Angesichts der gegenwärtigen Diskussionen um eine kohärente deutsche und europäische Industriestrategie widmet sich der Bericht in einem eigenen Abschnitt daneben auch zentralen industriepolitischen Maßnahmen und Strategien, die eine erfolgreiche Transformation des Industriesektors ermöglichen könnten.

Die Kernergebnisse des Szenarios werden mit den Ergebnissen anderer Klimaschutzszenarien, die für Deutschland vorliegen, verglichen. Wesentliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten werden herausgestellt und diskutiert.

Wesentliche Erkenntnisse der Studie

Das im Rahmen der Studie entwickelte Szenario sowie der Vergleich mit anderen aktuellen Klimaschutzszenarien verdeutlichen, dass zur Erreichung der klimapolitischen Ziele Deutschlands großer politischer Handlungsbedarf besteht, nicht zuletzt in Hinblick auf den Industriesektor. Die für die Transformation erforderlichen Technologien sind zwar weitgehend verfügbar, Politik und Industrie sind aber gefordert, gemeinsame Umsetzungsstrategien und wirksame Politikinstrumente zu entwickeln, die es der Industrie ermöglichen, die erforderlichen Investitionen auch vornehmen und Märkte für klimaneutrale Produkte erschließen zu können. Grundvoraussetzung für die Zielerreichung ist die großmaßstäbliche und schnelle Bereitstellung vor allem von Strom und Wasserstoff aus erneuerbaren Energien zu tragbaren Kosten für die Industrie.

Eine weitere zentrale Voraussetzung für das Erreichen von Klimaneutralität im Industriesektor ist der sukzessive Aufbau einer CO2-Infrastruktur, die die Möglichkeit bietet, an bestimmten Industriestandorten abgeschiedenes CO2 einer geologischen Speicherung zuzuführen. Im Fokus stehen dabei die weitgehend „unvermeidbaren“ Emissionen (z. B. die prozessbedingten Emissionen der Zementindustrie) und die Speicherung an geeigneten Standorten im Ausland. Eine solche Infrastruktur würde es auch ermöglichen, „negative“ Emissionen durch die Verbrennung von Biomasse in Industrieanlagen und die anschließende Abscheidung und geologische Speicherung des entstehenden CO2 (BECCS) zu erreichen. Diese negativen Emissionen können verbleibende Emissionen an anderer Stelle kompensieren. Negative Emissionen lassen sich aber auch durch eine direkte Luftabscheidung („Direct Air Capture“, DAC) und anschließende geologische Speicherung von CO2 erreichen. Dies kann vor allem dann erforderlich werden, wenn andere Maßnahmen – insbesondere solche zur Erreichung der ambitionierten Ziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes für die Erschließung natürlicher CO2-Senken – nicht erfolgreich realisiert werden können.

Links zur Studie: energy4climate.nrw

Abbildung: Treibhausgasbilanz des Gesamtsystems im Szenario SCI4climate.NRW-Klimaneutralität im Jahr 2045

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