Klimadiskurs.NRW

Mobilitätswende im Quartier co-kreativ gestalten


Für eine Mobilitätswende in Bestandsquartieren deutscher Großstädte braucht es experimentelle und innovative Stakeholder- und Bürgerbeteiligungsprozesse. Ein Forschungsprojekt der Ruhr-Universität Bochum erprobte in Essen und Offenbach die Potenziale der co-kreativen Gestaltung der Mobilitätswende.

von Ute Goerke, Jana Wegener, Dr. Jan-Hendrik Kamlage (Projekt „Beweg Dein Quartier!“, Ruhr-Universität Bochum)

Die neue NRW-Landesregierung plant, Bürgerbeteiligung durch eine Koordinierungsstelle auf Landesebene und den Aufbau eines Beratungs- und Austauschnetzwerkes zu stärken. Das transformative Forschungsprojekt „Beweg dein Quartier“ zeigt neue Wege der ambitionierten und auf Austausch und Kommunikation fußenden Beteiligung

Mobilität im Quartier neu aushandeln

Die Zeit drängt, die Folgen des Klimawandels verändern die Welt, wie wir sie kannten, dramatisch. Wir befinden uns im entscheidenden Jahrzehnt, um existenzbedrohende Folgen für Mensch und Natur noch zu verhindern. Die Ziele sind klar: Klimaschutz stärken und die CO2-Emissionen reduzieren sowie Städte an den Klimawandel anpassen – die Quartiere der Zukunft sollen grün, mobil, durchmischt, lebenswert, barrierefrei und emissionsarm sein, mit Platz für Begegnung und soziales Miteinander.

Gerade in städtischen Quartieren formiert sich Widerstand gegen dringend benötigte Maßnahmen der Mobilitätswende: Widerstand durch Bürgerinitiativen, Protest von Einzelhandel und lokalen Medien gegen den Rückbau von Parkplätzen und Straßen sowie den priorisierten Ausbau von Fahrrad- und Fußwegen. Hinzu kommen fehlende Mittel und personelle Ressourcen in den Kommunen, die den Aus- und Umbau verzögern. „Beweg Dein Quartier“ erprobte innovative Ansätze co-kreativer Bürgerbeteiligung in zwei Quartieren in Essen und Offenbach. Mobilität wurde dabei nicht isoliert, sondern als Bestandteil des Alltags und der Mobilitätsbedürfnisse der Menschen betrachtet. Statt einzelner Verkehrslösungen stand die ganzheitliche Umgestaltung des Quartiers im Mittelpunkt. Dabei standen Fragen im Zentrum wie: Wie komme ich mit dem Rad sicher von A nach B? Können die Straßen so umgestaltet werden, dass Kinder sicher zu Fuß oder mit dem Rad zur Schule kommen können? Wie erhöhe ich die Aufenthaltsqualität im Quartier – vor allem an zunehmenden Hitzetagen?

Gemeinsam Ideen entwickeln

Für diesen Ansatz ist die Partizipation von Betroffenen zentral. Die Bürger*innen als Anwohnende, als Nutzer*innen, als Pendler*innen kennen ihre Bedürfnisse und ihre Wege des Alltags. Das Ziel war, Möglichkeitsräume zu eröffnen, veränderte Verhaltensmuster anzustoßen und gemeinsam mit den Menschen vor Ort Projekte für eine bessere Mobilität der Zukunft und mehr Lebensqualität im Quartier zu entwickeln. In der Zusammenarbeit mit den beiden kommunalen Verwaltungen, Vertreter*innen von lokalen Vereinen, einem Quartiersmanagement, Künstler*innen, Bürger*innen und weiteren Akteur*innen der beiden Quartiere nahm das Projektteam die Rolle der vermittelnden Advokatin ein.

Transparente und ergebnisoffene Beteiligung

Ein wichtiger Bestandteil von Beteiligungsprozessen ist das Mandat, das mit den Entscheidungsträgern ausgehandelt wird. In den Beteiligungsprozessen wird auf dieser Grundlage transparent an die Teilnehmenden vermittelt, was mit den Ergebnissen passiert und inwiefern sie in Planungen einfließen. So hat das Projektteam von „Beweg Dein Quartier“ mit den beiden Kommunen zu Beginn ein Beteiligungsversprechen aufgesetzt. Dieses beinhaltete ein garantiertes öffentliches Feedback der Verwaltung zu den Projektideen. Mit der Stadt Offenbach vereinbarte man die aktive Unterstützung bei der Umsetzung von mindestens fünf Projektideen.

Ambitionierte dialogorientierte Beteiligung lebt von der Begegnung zwischen Menschen und dem gestalteten Austausch ihrer Perspektiven, Erfahrungen und ihres Wissens. Die Covid-19-Pandemie zwang das Projektteam, zahlreiche Elemente des Partizipationsprozesses online umzusetzen. So entstand eine Abfolge an aufeinander aufbauenden Prozesselementen, u. a. co-kreativen Online-Workshops, kartenbasierten Umfragen, Ausstellungen unter freiem Himmel, Beratung und Befragung auf Distanz. Wichtig war stets die Partizipation der Bevölkerung, die das Alltagswissen des Quartiers mitbringt. Einige der Ansätze erprobten wir temporär im Stadtraum. Es entstanden Ideen und Umsetzungsprojekte für nachhaltige Mobilität und mehr Lebensqualität vor Ort. Die Projektideen wurden in Form von Ergebnisbroschüren („Agenda Maps“ für Essen und Offenbach) aufbereitet, illustriert und mit dem Feedback der Stadtverwaltungen ergänzt. Beispiele sind u. a. Beschattungselemente und Blühinseln, ausgebaute Rad- und Fußwege, Radfahrstellplätze und Leihstationen für (E-)Rad, Auto und E-Scooter. Dazu sollen auch Autoparkplätze umgewidmet und insgesamt mehr Platz für den nachhaltigen Verkehr eingeräumt werden.

Der krönende Abschluss: Transfer in weitere Städte

Ziel ist es, die erprobte co-kreative Gestaltung der urbanen Mobilitätswende in weitere Kommunen zu transferieren. Das Potenzial der Übertragbarkeit wurde ausdrücklich bei der Verleihung des 1. Preises des polis Award 2022 im Bereich ‚Kommunikative Stadtgestaltung‘ gelobt. Bei einer zweiteiligen Transferkonferenz konnte das Projektteam mit den Projektpartnern und Vertreter*innen anderer Städte, Institutionen und Initiativen die Ergebnisse reflektieren, Erfahrungen austauschen und die Herausforderungen der Mobilitätswende auf Quartiersebene diskutieren. Die Beschreibung der Prozessschritte und evaluierten Erfahrungen sind ab September 2022 in einer Abschlussdokumentation nachzulesen (https://bewegdeinquartier.de/). So kann auch andernorts ein partizipativer Ansatz mit Bürger*innen vor Ort die Mobilitätswende und Transformation in den Städten entscheidend nach vorne bringen – sodass sie nicht nur mitgetragen, sondern auch mitentwickelt und vorangebracht wird.


Weitere Informationen:

Das Projekt „Beweg dein Quartier! Co-Kreative Entwicklung von Stadt-Räumen als Game-Changer für die Mobilitätswende” wurde im Rahmen des Förderprogramms „Innovative Klimaschutzprojekte“ im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unter dem Förderkennzeichen 03KF0107A/B gefördert. Es wird koordiniert von der Forschungsgruppe Partizipation und Transformation des Centrums für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie (CURE) der Ruhr-Universität Bochum und dem Hamburger Stadtentwicklungsbüro urbanista.

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