Klimadiskurs.NRW

Wir müssen die (Kohlenstoff-)Welt neu denken


Die chemische Industrie braucht Kohlenstoff

Mit der Carbon Management Strategie will die NRW-Landesregierung den Klimaschutz vorantreiben. Denn: Kohlenstoff wird für die Transformation zur Klimaneutralität benötigt. NRW hat gute Voraussetzungen, um ein Vorbild für andere Regionen zu werden.

von Dr. Ute Müller-Eisen

Kohlenstoff ist ein Super-Element. Ohne Kohlenstoff ist Leben nicht möglich. Er ist in der Natur und in allen Lebewesen essenziell. Aber sein Image ist schlecht, was vor allem auf seiner Partnerschaft mit Sauerstoff in CO2 beruht. Wie so oft gibt es auch hier zwei Seiten der Medaille und es kommt auf die Betrachtungsweise an. So richtig der Ansatz der Dekarbonisierung mit dem Verzicht auf Kohlenstoff zum Beispiel im Bereich der Energieerzeugung ist, so gilt er nicht für die Produkte der chemischen Industrie. Denn sie basieren auf Kohlenstoff und ermöglichen nicht nur das tägliche Leben, sondern auch die Transformation zu einer klimaneutralen Produktions- und Wirtschaftsweise. 

Mit erneuerbaren Energien und perspektivisch klimaneutralem Wasserstoff allein – so unverzichtbar beide sind – wird diese Transformation nicht gelingen. Daher brauchen wir eine neue Denkweise und Sicht auf das Super-Element und damit auch auf seine Rolle im „Klimakiller“ CO2. Ziel muss es sein, die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu beenden, alternative Kohlenstoff-Quellen zu finden und den in den Wertschöpfungsketten bereits vorhandenen Kohlenstoff intelligent im Kreislauf zu führen. 

Die Carbon Management Strategie des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie (MWIDE) in NRW greift diese Ansätze auf und skizziert Wege, die es zu verfolgen gilt. Dazu gehören die alternativen Rohstoffquellen Biomasse, Abfälle und CO2. Die Ansätze sind zu begrüßen und notwendig, um ambitionierten Klimaschutz und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes NRW zu vereinen. 

Kohlenstoff-Kreislauf entwickeln

Die Industrie in NRW ist branchenübergrei­fend verbunden. Was in der einen Branche als Nebenprodukt und Abfallstoff anfällt, kann an anderer Stelle rohstofflich eingesetzt werden. Auch in Zukunft werden CO2-Mengen bei Prozessen anfallen, die aber nicht mehr emittiert werden dürfen. Verschiedene Projekte arbeiten bereits daran, CO2 aufzufangen und anderen Branchen, vor allem der chemischen Industrie, als Rohstoff zur Verfügung zu stellen. 

CO2 als Kohlenstoffquelle zu verwenden war lange ein Traum der Wissenschaft. Nun ist er wahr geworden: durch eine innovative Technologie, die Covestro mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft entwickelt hat. Damit können wichtige Kunststoff-Bausteine hergestellt werden, die in verschiedene Produkte des täglichen Lebens gehen. So werden auf CO2-Basis unter anderem Weichschaum für Matratzen, Komponenten von Autoinnenräumen, Kleber für Sportböden hergestellt. Weitere Anwendungen werden folgen. Wie für alle alternativen Rohstoffe gilt für Covestro auch bei der Nutzung von CO2, dass der Einsatz nicht nur technisch und wirtschaftlich machbar, sondern auch ökologisch sinnvoll ist. 

Lösungen in der Wertschöpfungskette

Der Ansatz, Kohlenstoff im Kreislauf zu führen, ist eine Aufgabe, die nicht ein einzelnes Unternehmen lösen kann. Hier ist die gesamte Wertschöpfungskette gefragt. Covestro hat  damit angefangen und richtet sich komplett auf den Kreislaufgedanken aus – auch zusammen mit Partnern. Die vier Schlüssel sind: grüne Energie, alternative Rohstoffe, innovative Recyclingtechnologien und neue kooperative Geschäftsmodelle.

Die Chemie- und Kunststoffindustrie wird die bereits angestoßene Transformation konsequent fortsetzen. Sie ist branchenübergreifend vernetzt, was für ihren Erfolg und ihre Wettbewerbsfähigkeit wichtig ist. Hier können neue Synergien entstehen und damit neue Chancen. Wertschöpfungsketten können sich ändern und wie in einem Puzzle neu zusammengesetzt werden. Sicher ist, dass die vermehrte Nutzung alternativer Rohstoffe einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität Deutschlands leisten wird. 

Rahmenbedingungen schaffen

Für den Carbon Capture & Utilization (CCU)-Ansatz in NRW wird sicherlich notwendig sein, eine CO2-Infrastruktur aufzubauen. Auch diesen Ansatz greift die Carbon Management Strategie auf. Hier ist – wie bei der für den Ausbau der Wasserstoff-Wirtschaft erforderlichen H2-Infrastruktur – eine frühzeitige Planung wichtig. 

Eine weitere Voraussetzung für eine klimafreundliche Produktion – und damit letztlich auch für die Verwertung von CO2 in der chemischen Industrie – ist die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien und klimaneutralem Wasserstoff. Das spiegelt sich auch in der  Akteursinitiative Zukunft Wasserstoff.NRW im KlimaDiskurs.NRW wider.

Schließlich ist wichtig, dass die Carbon Management Strategie NRW nicht nur die Bausteine der Transformation zusammenführt, sondern auch die erforderlichen politischen Rahmenbedingungen schafft. Dazu gehört vor allem, rechtliche und regulatorische Hürden abzubauen. Das gilt insbesondere für die Nutzung von CO2 aus Abgasen oder der Luft. 

NRW als Vorreiter

NRW hat gute Chancen, die Transformation zu bewerkstelligen, und das Potenzial, Demonstrationsregion für eine nachhaltige Kohlenstoffwirtschaft zu werden. Das Know-how in Industrie und Wissenschaft ist groß. Zusammen mit der Politik müssen die richtigen Leitplanken für die neue Kohlenstoffwelt gesetzt werden. Die Chemie- und Kunststoffindustrie bietet hier volle Unterstützung und ihre Expertise an. Mehr denn je braucht NRW den breiten gesellschaftlichen Dialog, um die Akteure zusammen zu führen. Antworten lassen sich nur gemeinsam finden.