Klimadiskurs.NRW

Klimaschutzziele im Gebäudesektor – Ein Diskussionsbeitrag des GIH NRW


Ein möglichst hoher Anteil an erneuerbaren Energien verbessert die Klimabilanz des Gebäudes erheblich und verspricht eine schnelle Reduktion der CO2-Emissionen – wozu da noch ambitioniert in die Verbesserung der Gebäudehülle investieren? Wenn dabei aber wichtige Abhängigkeiten übersehen werden, droht das Projekt Klimaschutz im Gebäudebereich vom Weg abzukommen und am Ende teurer zu werden.

von Gisela Renner, Vorstandsvorsitzende des GIH NRW

Zielwerte in Klimaschutzstudien

Zahlreiche Klimaschutzstudien definieren den „klimaneutralen Gebäudebestand“ mit dem Zielwert des sogenannten Effizienzhaus oder Effizienzgebäude 55-Standard [siehe: Abschlussbericht dena-studie Aufbruch Klimaneutralität, Treibhausgasminderung um 70 Prozent bis 2030: So kann es gehen!, Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045). Dieser Wert soll im Mittel für den gesamten Gebäudebestand 2045 erreicht werden. Der Energiebedarf dieser Gebäude liegt bei ca. 55 Prozent des aktuellen Neubauniveaus nach GEG 2020. Dabei sind zwei Zielwerte zu erreichen. Zum einen der maximale Transmissionswärmeverlust (H’T in W/K), der ausschließlich den Energieverlust über die Gebäudehülle beschreibt. Zum anderen der Primärenergiebedarf (QP), der zusätzlich die Anlagentechnik inkl. deren Verluste bei der Erzeugung, Übergabe und Verteilung beinhaltet und stark durch die Primärenergiefaktoren des jeweiligen Energieträgers und die Nutzung erneuerbarer Energien beeinflusst wird. Es handelt sich hier um eine Energiebedarfsberechnung mit Standardnutzungsprofilen, d.h. der reale Verbrauch kann davon abweichen.

Je besser die Energieeffizienz der Gebäudehülle, desto geringer der Bedarf an erneuerbaren Energien oder desto besser ist die Nutzung von Niedertemperatur-Abwärme möglich.

Klimapolitik aktuell In der letzten Zeit wurde darüber hinaus die „graue Energie“, d.h. das verbaute Material im Gebäude, stärker diskutiert. Neben den richtigen Ansätzen zur Nachhaltigkeit und Einführung einer Kreislaufwirtschaft wird dabei zunehmend der Eindruck erweckt, dass in dem Zusammenhang weniger Dämmung im Sinne des Klimaschutzes von Vorteil wäre. Beschäftigt man sich näher mit der Systematik, fällt auf, dass der Energieverbrauch nach wie vor eine hohe Relevanz besitzt und die „graue Energie“ im Wesentlichen in den tragenden Bauteilen sowie in Tiefgaragen und Parkplätzen und damit im Neubau zu verorten ist. Im Gegensatz zur Dämmung tragen diese Bauteile allerdings nicht zu Verringerung der CO2-Emissionen im Gebäudebetrieb bei. Da die zusätzliche Energieeinsparung mit jedem zusätzlichen Zentimeter Dämmung jedoch abnimmt, gibt es abhängig vom Dämmmaterial, dem gewähltem Heizsystem und Nutzungszeit einen Punkt, an dem sich die Bilanz wieder verschlechtert. Bei einer Außenwand mit einer Mineralfaserdämmung sind das z.B. 33cm. (Bild 1)

Bild 1: Zunahme der „grauen Energie“ bei zunehmender Dämmstärke im Vergleich zur Energieeinsparung über 30 Jahre am Beispiel von Mineralfaserdämmung [siehe: Dämmbarkeit des deutschen Gebäudebestands ]

Dämmung auch mit größeren Dämmstärken und Nachhaltigkeit schließen sich also nicht gegenseitig aus, sondern müssen sich sinnvoll ergänzen [siehe: Zukunft Altbau – Merkblatt Graue Energie].

Bedeutung für die Praxis

Die Kernkompetenz von EnergieberaterInnen ist die systemische Optimierung von Gebäuden, d. h. das Zusammenspiel von Gebäudehülle, Anlagetechnik und NutzerInnen. Dabei weisen Sanierungsfahrpläne oder Sanierungskonzepte den Weg zu sinnvollen Maßnahmen-Kombinationen für das spezifische Gebäude, die technisch und bauphysikalisch funktionieren und behagliche Räume schaffen. Dabei ist es vorteilhaft, die energetische Verbesserung eines Bauteils dann vorzunehmen, wenn ohnehin Instandhaltungsmaßnahmen mit Sowiesokosten erforderlich sind oder bevor z. B. eine Photovoltaikanlage installiert wird. Sehr oft deckt die Förderung durch das BEG die Mehrkosten der energetischen Verbesserung ab. Der Hauptkostenanteil entfällt hier auf die Handwerkerleistung und nicht auf die Dämmung an sich. Maßnahmen an der Gebäudehülle wirken lange und heute umgesetzt bedeutet das keine weitere Verbesserung mehr bis 2045 (Lockin-Effekt). Gleichwohl können ungünstige Rahmenbedingungen, wie geringe Dachüberstände Mehrkosten induzieren, die bei geringeren Dämmstärken nicht entstehen. Auch erschweren beispielsweise Teilsanierungen oder niedrige Deckenhöhen im Souterrain oder im Keller die Dämmung des unteren Gebäudeabschlusses. Auf der anderen Seite ermöglicht die Dämmung der Gebäudehülle unter bestimmten Rahmenbedingungen eine Absenkung der Systemtemperaturen [siehe: Bericht ifeu ] und damit ohne Einbau einer Fußbodenheizung (mit zeitweiligem Leerstand) die Versorgung mit einer Wärmepumpe ohne zusätzlichen Gas-Kessel oder perspektivisch den Anschluss an ein Wärmenetz mit niedrigen Vorlauftemperaturen und damit wiederum günstigen Rahmenbedingungen zur Nutzung von erneuerbarer Niedertemperaturwärme oder Abwärme. Infolge dessen können sich auf diese Weise deutlich günstigere Gesamtkosten ergeben.

Die übermäßige Ausrichtung auf die Reduzierung von CO2-Emissionen führt zu einer Verlagerung weg von der Erhöhung der Gebäudeeffizienz hin zu einer vermehrten Nutzung erneuerbarer Energien.

Das Wuppertal Institut hat dies grafisch aufgearbeitet und die Nutzung von Wasserstoff und Power-to-Gas dabei mit betrachtet (Bild 2, [siehe Bericht: CO2-neutrale Gebäude bis spätestens 2045 ]).

Bild 2: Effizienzvergleich von Gebäudestandards und Heizsystemen: Anzahl der notwendigen Windkraftanlagen zur (jahresbilanziellen) Versorgung von rund 19.000 Wohneinheiten (à 100 m2) mit Heizstrom

Die Investitionen für den Klimaschutz werden dadurch von den GebäudeeigentümerInnen auf die Gesamtgesellschaft bzw. Energieversorger und -dienstleister verlagert. Der erhöhte Aufwand wird sich längerfristig ebenfalls in den Energiekosten widerspiegeln und die Warmmieten erhöhen. Das ist auch dann der Fall, wenn Wärmepumpen real eine schlechte Jahresarbeitszahl aufweisen, wenn sie ineffizient in das System des Bestandsgebäudes integriert wurden.

Was ist GebäudeeigentümerInnenn ggf. mit Verringerung der Kapitalrendite zuzumuten oder wo stellt eine Sanierung auf ein hohes Energieeffizienzniveau ein schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis dar bzw. ist wegen Denkmalschutzauflagen eingeschränkt? In Einzelfällen wird Abriss und Neubau weiterhin eine Verbesserung darstellen und versorgungstechnisch und städteplanerisch vorteilhaft sein.

Durch intelligente Erhöhung der Flächeneffizienz sowie die Senkung der realen Energieverbräuche durch Monitoring und Betriebsoptimierung lassen sich kostengünstige Klimaschutzpotentiale erschließen. Diese Aspekte sollten als weitere Möglichkeiten zur Zielerreichung besser sichtbar gemacht werden.