Klimadiskurs.NRW

Menschen sind auch nur Eisbären


© Udo Geisler

Warum es heute so kompliziert ist, über komplexe Themen wie die Klimakrise zu berichten.

von Andrea Hansen (stellvertretende Landesvorsitzende, Deutscher Journalisten-Verband NRW)

Eisbären fressen Robben. Robben sind niedlich. Eisbären, die das Blut von Robben im Gesicht haben, sind es nicht. Eventuell war es darum sehr viel einfacher, in den 1980ern für die Rettung der Robben Unterstützung zu finden, als heutzutage für die Rettung der Eisbären. Und das, obwohl wir uns mit den Eisbären direkt selbst retten würden. Zumindest wenn man den seit mehreren Jahrzehnten vorgetragenen Erkenntnissen der Wissenschaft zum Thema Klima folgt.

Als die Robben gerettet werden mussten, gab es noch eine grundlegende Verständigung darüber, dass es Fakten braucht, um andere zu widerlegen. Das ist heute nicht immer so. Es reicht oft ein „meine Meinung“, um Forschungsarbeiten vom Tisch zu wischen. Dass wir mehrere Krisen gleichzeitig haben, hilft da nicht wirklich. Viele sind derzeit brutal überfordert. Gleichzeitig sind auch etliche ziemlich unwillig, etwas an ihrem Leben zu verändern, nur weil Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Weltklimarats das für gegeben erachten.

Veränderung wird bei uns stets mit Verschlechterung gleichgesetzt. Strategien in Politik und Wirtschaft greifen oft zu kurz. Viele aktuelle Problemstellungen haben zudem keine eindimensionale Wenn-Dann-Kausalität mit sofortigen Auswirkungen. Das macht es schwer, Maßnahmen zu vermitteln. Und mit der Berichterstattung übers Klima ist es darum wie mit dem Beziehungsstatus bei Facebook: kompliziert.

Klar machen mit dem Beispiel Trinkwasser

Nehmen wir das Beispiel Trinkwasser. Es regnet seltener. Immer neue Niedrigmengen werden vermeldet. Der Grundwasserspiegel sinkt. Die Nitratbelastung steigt. Gleichzeitig wächst die Konkurrenz um die Nutzung des Allgemeingutes Wasser. Gerichtsverfahren und Konflikte um Nutzungsrechte nehmen zu, hat das Journalismuskollektiv „correctiv“ recherchiert. Landwirte wässern häufiger ihre Felder. Immer mehr Menschen haben einen Pool im Garten, anstelle einer Jahreskarte fürs Freibad. Die Industrie ist ein Großnutzer, und globale Lebensmittelkonzerne vermarkten Wasser als Produkt.

Die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser ist aber kommunal geregelt. Die Kommunen A, B und C verweisen auf die Frage nach der Sicherheit der Trinkwasserversorgung auf einen Kanal, der durchs Gemeindegebiet verläuft, wenn der Niederschlag nicht zum Ausgleich der Entnahme von Grundwasser reicht. Der Kanal wird aus dem Fluss X gespeist, der wiederum Trinkwasserreservoir für die dortigen Anliegerkommunen R, S und T ist. Was passiert also, wenn X nicht mehr genug Wasser für alle führt und R, S und T nicht mehr so viel in den Kanal weiterleiten wollen, um ihre eigene Trinkwasserversorgung abzusichern?

Die Welt retten in 100 Zeilen bzw. 2’30“

Wo fangen Sie da als Journalist:in bei Lokalzeitung oder -radio bzw. dem Regionalprogramm im Fernsehen an? Oder als Insta-Story? Sie reden über die Zukunft, es braucht also Willen und Vorstellungskraft, das Problem ernst zu nehmen. Sie müssen außerdem Hintergrundwissen mitliefern, weil Sie es nicht voraussetzen können. Dann sollten Sie auch noch die mitdenken, die Ihre Recherche ablehnen, weil sie sie in der Komfortzone stört. Last but not least: Sie wollen keine Schockstarre auslösen. Panikmache ist überhaupt nicht hilfreich, weil Ohnmacht eher Eskapismus, Ignoranz oder Trotz verstärken. Das schaffen Sie jetzt bitte alles auf 100 Zeilen oder in maximal zweieinhalb Minuten. Dabei dürfen Sie nicht vergessen, den Experten so kompliziert zu zitieren, wie er sich ausgedrückt hat, damit er in der eigenen Community weiter ernst genommen wird. Ach ja, und der Name irgendeines Wassersparprojektes der Kommune Q muss auch noch rein, findet der Projektleiter, obwohl das komische Konstrukt nichts erklärt, sondern eher verwirrt.

Superhelden-Aufgabe für den Lokaljournalismus

All’ diese Anforderungen landen auf dem Schreibtisch eines Medienmenschen, der versucht ein Thema so aufzubereiten, dass seine Nutzer und Nutzerinnen davon etwas haben – und zwar verständliche Information, die befähigt, sich selbst eine Meinung zu bilden. Das Ganze zudem am besten lösungsorientiert, nicht problemfixiert, ohne Angriff auf individuelle Verhaltensweisen oder Parteinahme. Ach ja, und mit einem konkreten, konstruktiven Ausstieg inklusive Tipp für den Alltag, aus dem sich doch bestimmt noch ein fancy Social-Media-Post generieren lässt. Viel Zeit haben Sie für diese Superhelden-Aufgabe in der Regel auch nicht. Herzlichen Glückwunsch und willkommen in der Welt Ihrer Lokalreporterinnen und -reporter!

Fachwissen und Feedback aus dem Netzwerk

Da braucht es in Summe schon eine Menge Erfahrung und Resilienz, um nicht zu verzweifeln. Und: Kollaboration rules! Ein funktionierendes Netzwerk zum Beispiel im DJV-NRW hilft, in dem man sich Fachwissen und Feedback abholen kann oder sich gegenseitig den Rücken stärkt, wenn es mal wieder schwer ist, Auftraggebern und Kundschaft den Wert dieser Leistung zu vermitteln. Es tut gut, sich auf Konferenzen wie dem journalistentag.de, zu begegnen, bei denen man sich zuhört, reflektiert, selbstkritisch ins Gespräch kommt und so den eigenen Horizont erweitert. Sich selbst immer wieder zu hinterfragen, gehört nämlich auch zum Jobprofil. Von denjenigen da draußen, die das nie tun und stattdessen das Thema als Erfindung zur Geisselung der Menschheit abtun, habe ich übrigens noch gar nicht angefangen.

Aber es hilft ja nichts. Sie wissen, dass das Thema wichtig und den Beitrag nicht zu produzieren, keine Alternative ist. Sie müssen damit leben, dass viele es nicht hören möchten, weil sie dann nicht so weiter machen können wie bisher. Und – das weiß jeder, der schon mal seine Ernährung verändert hat – nichts ist so hartnäckig wie Gewohnheiten.

Die Erde kommt besser ohne uns als wir ohne sie

Wenn man den Eisbären bäte, sich wegen des Klimas fleischlos zu ernähren, würde er eventuell auch nicht besonders begeistert reagieren. Der Klimawandel lässt Eisbären aber bereits heute in der Arktis immer wieder Braunbären begegnen. Die beiden Arten paaren sich auch schon hin und wieder. Der Eisbär als Art wird so zwar nicht überleben, aber immerhin Teile seiner Gene. Und damit zeigt er sich deutlich flexibler als mancher Mensch im Angesicht des Klimawandels.

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