Klimadiskurs.NRW

Interview: „Akzeptanz ist für die Wasserstoffwirtschaft von höchster Bedeutung“


Interview mit Prof. Dr. Klaus Töpfer

KlimaDiskurs.NRW: Sehr geehrter Herr Professor Töpfer, Wasserstoff ist aktuell wieder in aller Munde, als Energieträger der Zukunft, als Mittel gegen den Klimawandel, als Technologie für die erfolgreiche Gestaltung des Strukturwandels.

Die Nutzung von Wasserstoff ist allerdings keine Entwicklung des neuen Jahrtausends. Im Ruhrgebiet gibt es bereits seit den 30ern des letzten Jahrhunderts Pipelines und in den vergangenen Jahrzehnten gab es regelmäßig regelrechte Wasserstoffhypes. Sie waren 1987 bis 1994 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, welche Rolle hat das Thema Wasserstoff zu dieser Zeit für Sie gespielt?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (KT): Wasserstoff hat auch in der Zeit meiner Verantwortung als Bundesumweltminister intensive Diskussionen und wissenschaftliche Arbeiten ausgelöst. Mit der Firma Linde hatte die Bundesrepublik Deutschland das führende Unternehmen weltweit.

KD.NRW: Wieso hat sich Wasserstoff Ihrer Meinung nach bisher nicht in der Breite durchgesetzt? Was hat sich seitdem verändert?

KT: Die Erzeugung von Wasserstoff über Elektrolyse erfordert viel Energie. Wasserstoff ist keine Primärenergie, sondern vornehmlich Energiespeicher. Die Erzeugung von Wasserstoff, vor allem mit Erneuerbaren Energien, war extrem teuer und dadurch nur für spezielle Anwendungsfälle in der Wirtschaft wettbewerbsfähig. Die Nutzung von Überschussenergie aus anderen Prozessen war Grundlage für die Erzeugung von Wasserstoff.

Nunmehr ist durch Forschung und Economies of Scale, also durch Massenproduktion, Wind- und Solarenergie in den dafür besonders geeigneten Regionen in großen Mengen zu Kosten um 2 €/Cent pro Kilowattstunde verfügbar. Das lässt Wasserstoff in absehbarer Zeit wirtschaftlich werden.

KD.NRW: 2020 ist das Jahr der Wasserstoffstrategien. Was halten Sie von den vielfältigen Strategien und den Programmen auch zum Beispiel im Rahmen des europäischen Grünen Deals? Was muss jetzt geschehen, um die Wasserstoffwirtschaft Realität werden zu lassen?

KT: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor einer doppelten Krisenbewältigung: Die massiven negativen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Wirtschaft müssen durch staatliche Investitionsprogramme und Ausgleichszahlungen aufgefangen und ausgeglichen werden. Dafür sind in Europa und in einzelnen Staaten wie in Deutschland bisher nie für möglich gehaltene Investitionen in dreistelligen Milliardenbereich verfügbar gemacht. Diese Investitionen müssen so erfolgen, dass sie gleichzeitig zentrale Bedeutung für die Bekämpfung der Klimakrise haben. Durch diese doppelte Dividende kann die Wasserstoffwirtschaft Realität werden.

KD.NRW: Und welche Fehler gilt es dabei unbedingt zu vermeiden?

KT: Die Wasserstoffwirtschaft stellt nach wie vor große Herausforderungen für wissenschaftlichen Fortschritt und technologische Umsetzung. Dies darf nicht zu einem Alibi für die Verzögerung der Investitionen in diesen Umbau der Energiewirtschaft missbraucht werden. Entscheidend ist, dass dieser Weg zur Wasserstoffwirtschaft über nationale Grenze hinweg gedacht wird. Deutschland muss offen sein für den Import von grünem Wasserstoff aus sonnen- und windreichen Regionen der Welt.

KD.NRW: Wenn es um Klimaschutz und Energiewende geht, sehen wir immer wieder, dass jenseits von technischen Fragen oder wirtschaftlichen Überlegungen Akzeptanz eine zentrale Rolle spielt. Gerade im Leitungsbau und beim Ausbau erneuerbarer Energien erleben wir, wie und wo sich ausgewachsene Konflikte entzünden können und wie so viele Projekte ins Stocken geraten. Welche Rolle spielt das Thema Akzeptanz Ihrer Meinung nach für die Zukunft der Wasserstoffambitionen?

KT: Die Akzeptanz ist für die Wasserstoffwirtschaft von höchster Bedeutung und ist vor Ort durch Transparenz und Einbindung der Bevölkerung von Anfang an zu gewährleisten. Das gilt vor allem auch für die Transportinfrastruktur für Wasserstoff.

KD.NRW: KlimaDiskurs.NRW hat es sich zur Aufgabe gemacht, konfliktreiche Themen und Fragen vor dem Hintergrund unseres doppelten Ziels ‚Klima schützen und Wirtschafts- und Industriestandort stärken‘ vertrauensvoll zu diskutieren und auf gemeinsame Lösungsvorschläge hinzuarbeiten. Als Industrie- und Energieland Nummer 1 steht insbesondere NRW vor vielen Herausforderungen, was Klimaschutz, Energiewende, Zukunft des Industrie- und Wirtschaftsstandortes und Strukturwandel angeht. Auch deswegen werden hier vielerlei Chancen aber eben auch Fragen in Hinblick auf Wasserstoff gesehen. Welche Rolle kann bzw. soll KlimaDiskurs.NRW Ihrer Meinung nach gerade mit Blick auf die Akzeptanz spielen?

KT: NRW hat in seiner gesamten wirtschaftlichen Tradition diese Herausforderungen wirtschaftlichen Wandels und der Energieproduktion bewältigt. Kohle und Stahl als Symbol der Industrialisierung haben als wichtige Teile dieses Bundeslandes ihre DNA aufgeprägt. Der jetzt anstehende Strukturwandel kann durch Technologieoffenheit beispielgebend realisiert werden. Dieses Bundesland wird Vorreiter in der Wasserstoffwirtschaft werden können und müssen.

KD.NRW: Eine Abschlussfrage: Was ist Ihr Lieblingswasserstoffprojekt?

KT: Mein hoher Respekt gilt denen, die handeln und nicht nur diskutieren und lamentieren.

Vielen Dank für Ihre Zeit und alles Gute!