Klimadiskurs.NRW

Aktuelle Klimapolitik – der Weg in die Ebene der Mühen


Auf die Umsetzung der Klimaschutzziele kommt es an

In der Vergangenheit hat die Politik sich auf Klimaschutzziele konzentriert. Jetzt muss sie die Voraussetzungen für die Umsetzung der dafür notwendigen Maßnahmen schaffen – bis zum Zwischenziel 2030 bleibt kaum noch Zeit.

von Hans-Jürgen Mittelstaedt

Klimapolitik im Bund war viel zu lange geprägt von dem Setzen relativ weit in der Zukunft liegender Zielsetzungen und dem Ausstieg aus wesentlichen Fundamenten unserer Energieerzeugung, nämlich Kernkraft und Kohle. Jetzt, wo wir nur noch acht Jahre Zeit haben zum ersten Zwischenziel im Jahr 2030 und 23 Jahre bis zu dem Zeitpunkt, in dem unsere Gesellschaft klimaneutral sein soll, ist es weniger als fünf vor zwölf. Wir müssen umgehend das Ruder in Richtung Umsetzung und Einstieg herumreißen. Die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, sind gewaltig, äußerst komplex und zudem mit vielen Unsicherheiten behaftet. Es lohnt daher, einen näheren Blick auf die Inhalte des Koalitionsvertrages der neuen Berliner Regierungskoalition zu werfen, der für die nächsten vier Jahre den Weg skizziert, wie die äußerst anspruchsvollen Klimaziele erreicht werden sollen. 

Die zentralen Fragen sind: Wie erhalten wir die erneuerbare Energie, die wir für das Ziel der Klimaneutralität benötigen und wie schaffen wir den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, ohne Verluste an sozialer Sicherung und Wohlstand der Menschen?  

Ausbau der Erneuerbaren Energien weist in richtige Richtung

Die neue Regierungskoalition will den Ausbau der erneuerbaren Energie richtigerweise deutlich beschleunigen. Zwei Prozent der Landesfläche sollen für die Erzeugung erneuerbarer Energien reserviert werden. Sie erkennt zudem an, dass wir wegen der Elektrifizierung aller Lebensbereiche deutlich mehr Strom benötigen werden als derzeit. Die Strommengen liegen immer noch deutlich unter dem, was nach den Abschätzungen der chemischen Industrie notwendig sein wird. Aber die Richtung stimmt. 

Hand in Hand mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien muss auch der Ausbau der notwendigen Infrastruktur einhergehen, nicht nur für Strom, sondern auch für Wasserstoff. Auch diese Aufgabe hat sich die neue Bundesregierung in ihr Lastenheft geschrieben.   

Die Elektrifizierung der Industrie wird aber nur dann stattfinden, wenn die Stromversorgung gesichert ist und wenn der Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung steht. Beides ist Voraussetzung für die notwendige Planungssicherheit der Unternehmen und damit zwingende Voraussetzung für die notwendigen Investitionsentscheidungen. Der Koalitionsvertrag enthält hierzu ebenfalls Festlegungen, die in die richtige Richtung zeigen, lässt aber offen, wie dies konkret gelingen kann. 

Die Zeit drängt – die Umsetzung muss schneller erfolgen als bisher

Mit Blick auf die Kürze der Zeit müssen wir schneller werden bei Planung, Genehmigung und Inbetriebnahme. Die Realisierungszeiträume für Strom- oder Rohrleitungen für Wasserstoff sind aktuell so lang, dass jetzt begonnene Vorhaben oft erst nach 2030 in Betrieb gehen werden – wenn überhaupt. Zudem hinken wir bereits jetzt stark hinter den Ausbauzielen unserer Stromtrassen hinterher. Die Klagen der Träger von Windkraft-Projekten über zu lange Realisierungszeiträume lesen wir zudem tagtäglich in den Zeitungen. Die Ampel-Koalition greift dieses Problem auf und setzt sich das herausfordernde, aber richtige Ziel, die Planungs- und Genehmigungszeiten zu halbieren. Wie dies geschehen soll, bleibt offen. Die Klimatransformation findet jedoch nicht nur im Energiesektor statt, sondern auch in der Industrie. Wir werden auch hier einen massiven Anstieg von Genehmigungsverfahren erleben, die unter den aktuellen Bedingungen nicht zeitnah bearbeitet werden können. Die Beschleunigungsinitiative der Ampel muss daher unbedingt auch auf Genehmigungsverfahren von Industrieanlagen ausgeweitet werden. 

Die verschärften Anforderungen des EU Green Deal führen ebenso wie die stetig zunehmenden Maßnahmen für die Stabilität unsere Stromnetze durch immer mehr volatilen, erneuerbaren Strom im Netz, zu erheblichen Kostenbelastungen insbesondere der energieintensiven Industrieunternehmen und beeinträchtigen dadurch deren Wettbewerbsfähigkeit, sowohl am europäischen Markt wie auch global. Um den Transformationsprozess unbeschadet zu überstehen, brauchen wir hier wirksame Schutzmaßnahmen. Dieses in Fachkreisen und dem Begriff „Carbon Leakage Schutz“ bekannte Problem wird von den Ampelkoalitionären grundsätzlich anerkannt. Hier werden wir die Regierungsparteien beim Wort nehmen, dass sie bei der Gestaltung und Umsetzung ihrer und der europäischen Energie- und Klimapolitik auf die Wahrung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Industrie über den Transformationsprozess hinweg achten. 

Ebenso wichtig wie die von mir genannten Bereiche ist die zielgerichtete Förderung von Innovationen und die Nutzung der Potentiale der Digitalisierung. Der Koalitionsvertrag bietet, ohne ins Detail zu gehen, auch hier eine gute Grundlage für die anstehende Konkretisierung in der kommenden Regierungsarbeit.

Gefragt ist Dreiklang aus Klimaschutz, Wohlstand und sozialer Sicherung

Zusammenfassend spiegeln die Inhalte des Koalitionsvertrages deutlich das Bemühen der Koalitionäre, die langwierige und anspruchsvolle Transformation erfolgreich gestalten zu wollen, wider. Dabei sind auch wichtige Grundsatzentscheidungen für ein klimaneutrales Industrieland getroffen worden. Letztlich entscheiden wird hier aber die Umsetzung der Vereinbarungen im Detail.   

Bei den zweifellos kommenden Diskussionen über die Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Leitplanken sollten wir uns nach meiner Überzeugung immer vor Augen halten, dass unser Weg zur Klimaneutralität nur dann im Sinne des Schutzes unseres Klimas erfolgreich ist, wenn wir es schaffen ihn so zu gehen, dass zugleich der Wohlstand den Menschen in Deutschland und auch unsere sozialen Sicherungssysteme erhalten bleiben. Hierfür bedarf es aus meiner Sicht, vor dem Hintergrund der Dimension der Herausforderung, dass wir bei der Gestaltung des Prozesses nicht dogmatisch vorgehen. Wir brauchen Pragmatismus. Mehr Pragmatismus als er bis dato uns Deutschen eigen ist.

Denn nur mit einer erfolgreichen Umsetzung der Transformation aus ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Perspektive hätten wir in einer Art Reallabor der Welt gezeigt, wie es gehen kann. Und nur dann werden unserem Beispiel andere Länder in der notwendigen Stringenz folgen und nur dann entsteht der entscheidende Beitrag, den wir für die Lösung des weltweiten Klimaproblems benötigen.