Klimadiskurs.NRW

AgentInnen des Wandels: Partner der Energiewende vor Ort


am 17.08.16 von Lea Schmitt gepostet

Die Beteiligung unterscheidlicher Akteure für eine breit getragene Energiewende wird oft unterschätzt.

Die Energiewende als „Gemeinschaftswerk“ (Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung 2011)  bedarf für ihr Gelingen nicht nur klima- und energiepolitischer Programme, einer effizienten Verwaltung, technologischer Innovationen und wirtschaftlicher Weichen­stellungen: Die Beteiligung von BürgerInnen ist ein ebenso bedeutender Faktor. Ob und wie BürgerInnen und Stakeholder beteiligt werden, beeinflusst die grundlegende gesellschaftliche Zustimmung oder Ablehnung dieses Großprojektes.

Zielführend ist hier ein differenziertes Verständnis von Beteiligung, das Beteiligungsverfahren nicht als Selbstzweck versteht, sondern an das jeweilige Ziel, den Kontext und an die AdressatInnen anpasst. Im Vorfeld jeder Beteiligung gilt es, die Fragen zu beantworten, unter welchen zeitlichen, finanziellen, politisch-kulturellen und rechtlichen Voraussetzungen Beteiligung stattfindet und in welcher Rolle BürgerInnen in Beteiligungsprozesse eingebunden werden sollen. Will man sie informieren, konsultieren oder mit ihnen kollaborieren? Die Beantwortung dieser Frage hängt wesentlich davon ab, welche Haltung die jeweiligen BürgerInnen zur Energiewende einnehmen: Mit Betroffenen, die gegen einen Stromtrassenverlauf protestieren, muss anders kommuniziert werden als mit professionellen Interessen­vertreterInnen institutionalisierter Sichtweisen. Weitere mögliche Bezugsgruppen sind schwer zu Erreichende wie workaholics oder sozial Benachteiligte sowie BürgerInnen, die sich lediglich informieren möchten, z.B. über energetische Sanierungsmaßnahmen. Eine besondere Teilöffentlichkeit ist darüber hinaus die Gruppe der AgentInnen des Wandels.

Als AgentInnen des Wandels werden hier zivilgesellschaftliche Akteure bezeichnet, die im Rahmen ihres bürgerschaftlichen Engagements in ausgewählten Feldern der Energiewende (z. B. Mobilität, Energieproduktion, Energie- und Ressourceneffizienz, Bildung, Bildung & Information)  soziale Innovationen auf den Weg bringen. „Soziale Innovation“ meint eine „von bestimmten AkteurInnen bzw. Akteurskonstellationen ausgehende intentionale, zielgerichtete Neukombination bzw. Neukonfiguration sozialer Praktiken in bestimmten Handlungsfeldern bzw. sozialen Kontexten“ (Howaldt & Schwarz 2012: 48). AgentInnen des Wandels können „implizit“ oder „explizit“ nachhaltig orientiert sein (vgl. Sommer & Schad 2014): Akteure mit einer expliziten Nachhaltigkeits­orientierung legen ihrem Handeln bewusst Motive der Nach­haltigkeit, des Umwelt- und Klimaschutzes zu Grunde und lassen sich etwa in sozialen Bewegungen wie der Umwelt- und Anti-Atom-Kraft-Bewegung finden. Akteure mit einer impliziten Nachhaltigkeits­orien­tierung hingegen sind in ihrem Wirken nachhaltig, ohne dass dies die primäre Intention ihres Handelns ist. Letztere gestalten mit ihrem bürgerschaftlichen Engagement oft bestehende Prozesse des Strukturwandels mit: Von der Integration älterer Menschen, über eine kreative Entwicklung von Begegnungsräumen in der Nachbarschaft bis hin etwa zur innovativen Weiterentwicklung von Betrieben. Mit Blick auf das Ruhrgebiet konnten wir etwa Projekte der solidarischer Landwirtschaft, Kleingärten als Orte der gesellschaftlichen Teilhabe, Reparier-, Tausch- und Kiezgemeinschaften oder ein Lastenfahrradverleih genauer untersuchen (vgl. Leggewie et al. (Hg.) 2016).

Wie aber sieht der Beitrag solcher AgentInnen des Wandels zu einer erfolgreichen Energiewende aus? Zum einen fungieren sie in ihrem sozialen Umfeld als Multiplikator für lokale Veränderungsprozesse, denn als sogenannte „peers“ werden sie als beson­ders glaubhafte Quellen für Veränderungen Rroutinen wahrgenommen (vgl. Simcock et al. 2014: 460, 463).  Darüber hinaus machen sie die Energiewende anschlussfähig an unterschiedliche Lebenswelten, indem sie aus den Gegebenheiten und Herausforderungen ihres jeweiligen sozialen und räumlichen Umfelds heraus handeln. Da AgentInnen des Wandels nicht selten in Momenten berufsbiographischer Übergänge – Berufseinstieg, -wechsel, oder -ausstieg –  aktiv sind oder sich als gemeinwohlorientierte SozialunternehmerInnen verstehen, geben sie zudem Impulse für neue Berufsbilder oder Wirtschaftsformen.

Im Hinblick auf ein „Gemeinschaftswerk“ Energiewende würde eine auf Ko-Kreation und Kollaboration angelegte Beteiligungsverfahren zwischen Verwaltung, Politik und AgentInnen des Wandels im Bereich Energiewende katalysierend auf die Transformationsprozesse in der Region wirken. Sie könnten als strukturelle Koppelung zwischen formellen Bürokratien auf kommunaler und regionaler Ebene und informellen Netzwerken der AgentInnen des Wandels fungieren und unterschiedliche Arten von Potenzialen zusammenbringen (vgl. Sabel 2001: 123): Während AgentInnen des Wandels Zugang zu lokalem, erfahrungsbasiertem Wissen haben, ist es das Potenzial der Verwaltung, auf Grund formeller Strukturen und Verfahren systematisch zu lernen sowie Ergebnisse und Prozesse transparent darzustellen. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre, sich wechselseitig als relevante Akteure der Energiewende zu erkennen und zu kooperieren.

Literatur:

Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung (2011): Deutschlands Energiewende. Ein Gemeinschaftswerk für die Zukunft. Online verfügbar unter: https://www.nachhaltigkeit.info/media/1326189452phpeJPyvC.pdf?sid=b00pqvkmfsddapfr1jjbjllfh4.

Howaldt, Jürgen; Schwarz, Michael (2010): Soziale Innovation im Fokus. Skizze eines gesellschaftstheoretisch inspirierten Forschungskonzepts. Bielefeld: transkript.

Leggewie, Claus; Reicher, Christa; Schmitt, Lea (Hg.) (2016): Geschichten einer Region. AgentInnen des Wandels für ein nachhaltiges Ruhrgebiet. Dortmund: Kettler.

Sabel, Charles F. (2001): A Quiet Revolution of Democratic Governance: Towards Democratic Experimentalism. In: OECD (Hg.): Governance in the 21st century. Future Studies. Paris: Organisation for Economic Co-operation and Development (Future studies), S. 121–148.

Simcock, Neil; MacGregor, Sherilyn; Catney, Philip; Dobson, Andrew; Ormerod, Mark; Robinson, Zoe et al. (2014): Factors influencing perceptions of domestic energy information: Content, source and process. In: Energy Policy 65, S. 455–464.

Sommer, Bernd; Schad, Miriam (2014): Change Agents für den städtischen Klimaschutz. Empirische Befunde und praxistheoretische Einsichten. In: GAIA 23 (1), S. 48–54.

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