Klimadiskurs.NRW

5 Fragen an… Prof. Dr. Andreas Löschel


Prof. Dr. Andreas Löschel ist Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Dort hat der den Lehrstuhl für Mikroökonomik, insb. Energie- und Ressourcenökonomik inne. Seit 2011 ist er Vorsitzender der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ der Bundesregierung. Er hat die Europäische Kommission, das Europäische Parlament sowie Bundes- und Landesministerien zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen der Energie- und Klimapolitik beraten. Schon vor einigen Jahren hat er den Kohleausstieg für das Jahr 2038 vorausgesagt.

KlimaDiskurs.NRW: Sie betonen die Bedeutung einer systemischen Sicht auf die Energiewende. Welche Aspekte müssen gemeinsam betrachtet werden, bzw. welche Systeme interagieren, damit die Energiewende gelingt?

Wichtig ist, dass der klimapolitische Rahmen so gestaltet wird, dass sich das grundlegende Geschäftsmodell der Unternehmen und die Entscheidungen der Haushalte ändern. Deshalb sollten zum Beispiel nicht einzelne Technologien oder Sektoren isoliert betrachtet, sondern in den Systemkontext eingeordnet werden. In diesem Kontext stellt das neue Leitbild der Klimaneutralität aus meiner Sicht einen Paradigmenwechsel dar, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Zu den bisherigen Schwerpunkten in der Energiewende treten dann notwendige Innovationen zur Unterstützung der weitreichenden Elektrifizierung der Sektoren, im Kontext der CO2-Abscheidung und dauerhaften Speicherung bzw. Nutzung und beim regenerativen Wasserstoff und den synthetischen Energieträgern hinzu. Ein höherer CO2-Preis ist das Instrument der Wahl, ergänzt durch einen nachhaltigen Infrastrukturausbau und die breite Förderung von Forschung und Entwicklung, Innovationen, Diffusion und Adaption CO2-armer Technologien für die systemische Sicht der Energiewende.

KD: Wie wichtig sind für eine gelingende Energiewende auch zivilgesellschaftliche Einbindung und Akteure übergreifender Diskurs?

Die zivilgesellschaftliche Einbindung und der Akteure übergreifende Diskurs ist sehr wichtig. Die raschere Defossilisierung dürfte nicht nur mit höheren Belastungen für Unternehmen und Bürger einhergehen, sondern auch zu neuen Herausforderungen für die Versorgungssicherheit und die Akzeptanz der Energiewende führen. Besonders deutlich wird das beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Ausbaugeschwindigkeit muss drastisch gesteigert werden. Die gesellschaftliche Akzeptanz wird dabei für das Erreichen der Ausbauziele entscheidend sein – insbesondere von Windenergieanlagen an Land. Der überwiegende Teil der Bevölkerung unterstützt als schweigende Mehrheit den Ausbau, während einige Wenige aktiven Widerstand leisten. Hier muss Vertrauen und Transparenz zwischen den beteiligten Akteuren hergestellt werden, etwa durch Einbindung der Anwohner in entsprechende Planungs- und Genehmigungsverfahren inklusive finanzieller Beteiligungsmöglichkeiten.

KD: Sprechen wir über den Kohleausstieg: Das politische Ausstiegsdatum ist auf das Jahr 2038 festgesetzt, Bundesumweltministerin Svenja Schulze schließt aber auch marktbedingte frühere Abschaltungen nicht aus. Die neue, 2026 zu überprüfende Leitentscheidung des Landes NRW für das Rheinische Revier sieht vor, wie der weitere Ausstieg verlaufen soll. Welche Anreize gibt es für Unternehmen, schneller vom Netz zu gehen, bzw. länger am Netz zu bleiben?

Tatsächlich hat der Kohleausstieg einige Unwuchten. Schon bei der Kohlekommission habe ich gesagt: Statt hoher Entschädigungen lieber den Markt wirken lassen. Nun gibt es den politischen Kohleausstieg und parallel sind die CO2-Preise durch die höheren EU-Ziele und die absehbare Verknappung der CO2-Emissionen massiv gestiegen. Das ist eigentlich nicht unerwartet. Der aktuelle CO2-Preis von fast 50 Euro beschleunigt natürlich den marktgetriebenen Kohleausstieg deutlich. Viele Kraftwerke können schon jetzt kaum mehr kostendeckend arbeiten. Sollten sich die Preise weiter in Richtung 100 Euro bewegen, dann werden die Kohlekraftwerke schon alleine deshalb abgeschaltet werden – und zwar eben nicht erst 2038, oder 2035, sondern weitgehend bis 2030. Die Checkpoints der Leitentscheidung ergeben also viel Sinn.

KD: Was bedeuten die Kohleausstiegspfade für die Stromkosten? Wie kann Strom für Unternehmen zu wettbewerbsfähigen und für EndkundInnen zu sozialverträglichen Preisen angeboten werden?

Gute Klimapolitik muss nicht teuer sein. Die Stromkosten müssen durch den Kohleausstieg auch nicht massiv steigen. Das zeigen alle Berechnungen. Tatsächlich ist es wichtig, Strom zu wettbewerbsfähigeren und sozialverträglicheren Preisen als heute anzubieten. Das ist möglich, denn Strom ist auf den Märkten gar nicht so teuer in Deutschland – im Gegenteil. Es sind die anderen Komponenten des Strompreises, die problematisch sind. Deshalb bedarf es einer umfassenden Strompreisreform für Haushalte und Industrie. Diese benötigt zwei Komponenten: zum einen höhere CO2-Preise für die systemischen Anreize zur Emissionsminderung und zum anderen die Senkung oder Umfinanzierung von Umlagen, Abgaben und Steuern auf Elektrizität für niedrigere Strompreise bei den Endkunden. Die richtigen Weichen wurden hier bereits gestellt; jetzt gilt es rasch voranzuschreiten. Eine Strompreisreform hilft nicht nur der Sektorkopplung sondern wird auch den aktuellen verteilungspolitischen Anforderungen besonders gerecht.

KD: Derzeit wird im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie auch der Austausch von Wissenschaft und Politik diskutiert. Sie beraten Politik von Landes- bis EU-Ebene, haben am 5. IPCC-Sachstandsbericht mitgeschrieben. Müssen wir die Rolle der Wissenschaft in der Klimapolitik stärken? Und wenn ja, was bedeutet das für Sie?

Die Wissenschaft hat in der Klimapolitik eine so starke Rolle wie in fast keinem anderen Bereich. Der Weltklimarat hat mit seinem 5. Sachstandsbericht dem Pariser Abkommen den Weg geebnet. Allerdings sind in der Umsetzung der Beschlüsse dann vielfältige Abwägungen zu treffen – und zwar von der Politik. Die klimaökonomische und gesellschaftswissenschaftliche Forschung ist aus meiner Sicht besonders gefragt, die Anreizwirkungen der verschiedenen politischen Maßnahmen auf Wirtschaft und Gesellschaft besser zu verstehen. Wie können und sollen die zunehmend stringenteren Maßnahmen implementiert werden, was ist machbar und warum? Aus meiner Sicht spielen hier verhaltensökonomische Fragen eine besondere Rolle. Daneben wird die Digitalisierung zum entscheidenden Treiber der Dynamik. Im Virtuellen Institut Smart Energy NRW beschäftigen wir uns mit diesen Fragen. Unser Ziel ist es, nicht nur „zu forschen“, sondern Vor- und Nachteile verschiedener Optionen in wissenschaftsbasierter Politikberatung herauszuarbeiten und so besser informierte Entscheidungen zu ermöglichen.