Klimadiskurs.NRW

5 Fragen an… Prof. Claudia Kemfert


Claudia Kemfert ist Energieökonomin. Die Wirtschaftswissenschaftlerin leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg.

KlimaDiskurs.NRW: Frau Professorin Kemfert, seit mehr als einem Jahr dauert der russische Angriffskrieg in der Ukraine an. Mit ihm haben sich auch die Debatten hierzulande verändert. Wie hat der Krieg und seine Folgen den Blick auf Erneuerbare Energien verändert?

Der Krieg war ein riesen Schock, der durch Deutschland gegangen ist – weil wir sehr abhängig waren von fossilen Energien aus Russland. Im vergangenen Jahr haben wir vor allem über die hohen fossilen Energiepreise diskutiert, politisch gibt es nun entsprechende Strompreis- und Gaspreisbremsen. Bei den Menschen ist angekommen, dass die fossilen Energien teuer sind, dass wir inmitten eines fossilen Energiekriegs sind und die einzige Chance, da wirklich herauszukommen ist, dass wir uns unabhängig machen – und zwar von den fossilen Energien insgesamt.

Das geht einerseits nur, wenn wir Energie sparen – und andererseits, wenn wir auf Erneuerbare Energien umstellen. Ich denke, das ist in der Breite der Bevölkerung und bei den Entscheidungsträger*innen angekommen. Ganz zentral ist, dass wir jetzt die Energiewende voranbringen. Die große Frage ist: Wie schnell sind wir? Wir müssen viele Fehler aus der Vergangenheit korrigieren, die insbesondere den Ausbau der Erneuerbaren stark ausgebremst haben. Das können wir nicht so schnell wegschieben, aber wir steuern dagegen.

Die Bundesregierung selbst hat für die Stromerzeugung das Ziel ausgegeben, bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent der Bruttostromverbrauchs– aus Erneuerbaren kommen. Wo stehen wir aus Ihrer Perspektive auf dem Weg dahin?

Wir sind nicht ansatzweise da, wo wir sein müssten. Wenn wir auf die Ziele bis 2030 blicken, brauchen wir 215 GW Photovoltaik, 115 GW Wind an Land, 30 GW Wind auf See – da haben wir mit 66 GW (Photovoltaik), 58 GW (Wind an Land) und 8 GW (Wind auf See) ausgebauter Kapazität also erheblichen Nachholbedarf. Man kann übrigens täglich nachschauen. Wir haben beim DIW einen sogenannten Ampelmonitor erstellt, auf dem wir die Ziele für 2030 sowie den tagesaktuellen Stand gegenüberstellen.

Außer auf die Stromerzeugung blicken wir da außerdem auch auf andere Zielgrößen, etwa die Anzahl von Wärmepumpen, Elektroautos und öffentlicher Ladepunkte.

Das nutzen wir gern als Überleitung. Lassen Sie uns auf die Sektoren blicken. Insbesondere der Verkehrs- und Gebäudesektor verfehlen aktuell die Klimaziele. Welchen Bedarf an Erneuerbaren Energien haben wir denn im Verkehrssektor, wenn wir mit grünem Strom die Emissionen dort reduzieren wollen?

Fangen wir mal bei den Elektroautos an, da sind wir jetzt bei einer Millionen. Das politisch gesetzte Ziel bis 2030 sind 15 Millionen Elektroautos. Um das vorwegzuschicken: Wir wissen, dass die Verkehrswende deutlich mehr ist als den Motor auszutauschen. Aber um in dem Beispiel zu bleiben: Selbst wenn wir die aktuell 50 Millionen PKW in Deutschland mit Elektromotoren ausstatten würden, bräuchten wir etwa 20% mehr Strom, der entsprechend aus Erneuerbaren Energien kommen muss.

Der Gebäudesektor hat in den vergangenen zwei Jahren die Klimaziele verfehlt – welche Rolle spielen Erneuerbare Energien hier, um den Sektor auf den Zielpfad zu führen?

Auch da wird es darum gehen, dass wir vor allen Dingen sparsam mit Energie umgehen. Die energetische Gebäudesanierung steht an erster Stelle, da muss auch finanziell unterstützt werden, dass wenig Energie verbraucht wird. Die Energie, die verbraucht wird, sollte möglichst elektrisch sein, beispielsweise durch Nutzung von Wärmepumpen. Auch da hat man Ziele, bis 2030 sollen es 6 Millionen Wärmepumpen sein, derzeit stehen wir bei 1,8 Millionen – und dieses Ziel wird man wohl auch nicht erreichen können, weil es zu viele Zeitverzögerungen gibt, etwa durch Handwerker und Materialien und die energetische Sanierung.

Dennoch: Das Effizienteste wäre, wir nutzen Wärmepumpen oder auch Nahwärmenetze, die auf Kraft-Wärme-Kopplung und Erneuerbaren Energien basieren. Dadurch reduzieren wir den Primärenergieverbrauch, auch wenn der Stromverbrauch zunimmt.

Das gilt übrigens über alle Sektoren hinweg: In einer Welt mit 100 Prozent Erneuerbaren Energienverbrauch halbiert sich im effizientesten Szenario der Primärenergieverbrauch, der Strombedarf hingegen verdoppelt sich beinahe.

Ein Thema wird im Zusammenhang mit der Energiewende zunehmend diskutiert: der Fachkräftemangel. Es heißt, wir haben gar nicht genügend HandwerkerInnen, beispielsweise um die nötigen PV-Anlagen auf die Dächer zu bringen. Wie sehen Sie das?

Das müssen wir adressieren und den Mangel, der vorhanden ist, angehen. Ich hoffe nicht, dass uns fehlende Fachkräfte ausbremsen beim Ausbau der Photovoltaik. Dafür wäre aus meiner Sicht wichtig, dass wir auch hier zunächst eine Bestandsaufnahme machen. Wir hören aus unterschiedlichen Regionen sehr unterschiedliche Rückmeldungen. Hier sehe ich eine Möglichkeit für die IHKs und Berufsgenossenschaften: Wo stehen wir beim Thema Fachkräfte? Wie viele Fachkräfte werden tatsächlich benötigt? Auf dieser Grundlage könnte man dann ein Job-Booster-Programm machen, denn klar ist: Wir brauchen etwa die Installateure und andere Fachkräfte, damit die Solaranlagen in die Regionen und auf die Dächer kommen.

Interesse an weiteren Informationen zu diesem Thema? Hören Sie unsere Folge ;KlimaDiskurs – der Podcast‘ mit Prof. Claudia Kemfert!

Mit einem Klick zum Podcast auf allen gängigen Plattformen: https://klimadiskurs-nrw.podigee.io/#subscribe

Newsletter Klima.Diskurs

› Newsletter bestellen