Klimadiskurs.NRW

5 Fragen an… Heike Heim


Heike Heim ist Diplom-Wirtschaftsingenieurin und seit 2017 Vorsitzende der Geschäftsführung der Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW21). Des Weiteren wurde sie im Juni 2022 zur Energiemanagerin des Jahres 2021 gewählt.

Sehr geehrte Frau Heim, Sie wurden zur Energiemanagerin des Jahres 2021 gewählt. Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch zu dieser Auszeichnung! Was haben Sie richtig gemacht?

Vielen Dank, es ist für mich eine besondere Ehre, diese Auszeichnung zu erhalten. Ich verstehe sie auch als Bestätigung des Transformationsprozesses von DEW21. Dabei ist diese Entwicklung für uns kein Selbstzweck, sondern unerlässlich für erfolgreiches unternehmerisches und zukunftsgerichtetes Handeln. Die aktuelle Energiemarktkrise, die Erreichung ambitionierter Klimaschutzziele und die Digitalisierung erfordern eine klare strategische Ausrichtung. Damit wir als DEW21 auch zukünftig das starke Rückgrat für unsere Stadt und die Region bleiben, entwickeln wir uns zu einem „nachhaltigen Lebensversorger“. Neben der klassischen Energie- und Wasserversorgung werden wir dabei zukünftig auch moderne Grundbedürfnisse und -ansprüche unseres urbanen Lebens erfüllen. Dafür ist es unabdingbar, unsere vorhandenen fachlichen Kompetenzen mit drei Kernfähigkeiten aufzuladen: Nachhaltigkeit, unbedingte Kundenzentrierung und digitale Souveränität.

Eine Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind Diskussionen um die Energieversorgung in Europa im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen. Mit Blick auf die steigenden Energiepreise insbesondere für Endkunden: Welchen Handlungsspielraum haben Energieversorger wie die DEW21 überhaupt (noch)?

Wir kaufen so wie viele Stadtwerke Energie nicht an der Börse, sondern außerbörslich bei verschiedenen Handelspartnern ein. Dabei sind wir bestrebt, die Beschaffungsrisiken möglichst breit zu streuen und Abhängigkeiten von einzelnen Partnern zu vermeiden. Daher verfügen wir bereits über eine breit aufgestellte Beschaffungsstrategie und diversifizieren diese immer weiter. Das historisch hohe Preisniveau auf den Energiemärkten stellt gleichermaßen Letztverbraucher*innen wie Unternehmen vor besondere Herausforderungen. Die Preise für die langfristige Beschaffung haben sich seit Beginn des Jahres 2021 verzwölffacht, in der kurzfristigen Beschaffung erleben wir in der Spitze Preissprünge um mehr als 1400 Prozent. Derzeit ist leider keine Entspannung abzusehen, wir rechnen frühestens für 2024 damit. Wir raten unseren Kund*innen aktuell, Energie größtmöglich einzusparen – denn jede Einsparung macht sich bei dem aktuellen Preisniveau auf dem Konto bemerkbar. Darüber hinaus sollten Kund*innen bei einer Preisanpassung ihre monatlichen Abschläge erhöhen, um so eine mögliche Nachzahlung zu vermeiden.

Wenn Sie auf die Transformation des Energiesektors blicken: Wie ist der Stand in NRW aktuell?

Wenn man einmal den Energiemix aus NRW mit dem bundesweiten Mix vergleicht, wird ersichtlich, dass in NRW noch mehr als die Hälfte der Bruttostromerzeugung aus Braun- bzw. Steinkohle stammt. Als klassisches Industrieland steckt NRW an vielen Stellen noch mitten im Strukturwandel, was sich natürlich auch bei der Transformation des Energiesektors bemerkbar macht. Die politische Rückendeckung für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien ist in den vergangenen Monaten stark gewachsen, doch der eigentliche Ausbau geht noch immer zu langsam voran. Viele Städte und Kommunen haben sich das Ziel gesetzt, in den kommenden Jahren klimaneutral zu sein. Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, brauchen Kommunen und Verwaltungen einfache und klare Prüfmechanismen für die Freigabe von Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien. Die Politik spricht bereits seit mehreren Monaten davon – angekommen ist bei den Kommunen davon allerdings nur sehr wenig.

Welche Rolle kommen Wirtschaft und Industrie im Transformationsprozess zu? Wie arbeiten Sie als DEW21 mit Zivilgesellschaft und BürgerInnen zusammen?

Wirtschaft und Industrie haben eine wichtige Rolle im Transformationsprozess des Energiesektors. Mehr als vierzig Prozent des gesamten Energieverbrauchs (Strom, Wärme und Kraftstoffe) sind den Bereichen Wirtschaft und Industrie zuzurechnen. Dabei wird die Energie insbesondere für Prozesswärme sowie mechanische Energie benötigt, was die großen, noch zu lösenden Herausforderungen zeigt. Wirtschaft und Industrie haben eine echte Mammutaufgabe vor sich: Sie müssen ihren Geschäftsbetrieb auf Klimaneutralität umstellen und dabei die operativen Geschäftstätigkeiten aufrechterhalten. Als Energiedienstleister stehen wir unseren Kund*innen dabei natürlich zur Seite und unterstützen sie auf dem Weg zu einem klimafreundlicheren Betrieb.

Als lokal verwurzeltes Unternehmen übernehmen wir Verantwortung für das gesellschaftliche Leben und soziale Belange in der Stadt und der Region. So engagieren wir uns u.a. im Kampf gegen Energiearmut, was insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise immer wichtiger wird. Wir bringen uns aber auch aktiv in die Stadtgestaltung ein und sind Mitglied im Klimabeirat der Stadt Dortmund, der als ein Bindeglied zwischen Stadtgesellschaft, Verwaltung und Politik fungiert. Hier werden z.B. die kommunalen Aktivitäten zum Klimaschutz diskutiert und begleitet sowie Empfehlungen an die politischen Gremien und die Öffentlichkeit ausgesprochen.

Politisch wird der Ausbau Erneuerbarer Energien durch PV-Pflichten und Flächenziele für Windkraftanlagen forciert. Welche Herausforderungen birgt diese Dezentralisierung und Flexibilisierung der Energieerzeugung?

Die weitere Elektrifizierung und Dezentralisierung erhöht rapide die Komplexität und die Anforderungen in allen wesentlichen Wertschöpfungsbereichen unseres Geschäftes. Die Verteilnetzbetreiber müssen sich auf volatile Leistungen, eine steigende Anzahl an Prosumern – also Menschen, die Energie sowohl produzieren als auch konsumieren können – und höhere Netzbelastungen einstellen. Der intelligente Umbau des Energiesystems kann nicht ohne intakte und smartifizierte Energienetze – gerade auch im Niederspannungsbereich – einhergehen. Hier werden mitunter erhebliche Umbaumaßnahmen und Infrastrukturmaßnahmen notwendig, für die es die Rückendeckung der Bürger*innen und der lokalen Politik bedarf. Auch für das klassische Vertriebsgeschäft sowie den Handel ergeben sich durch eine zunehmend dezentrale Energieerzeugung Herausforderungen: Zum einen werden sich die Vertriebsmengen reduzieren und sind immer schwieriger zu prognostizieren. Zum anderen werden immer individuellere Produkte gefordert. Dazu gehören nachhaltigkeitsfördernde Dienstleistungen wie Energieeffizienzberatungen sowie digitale Lösungen zur Umsetzung einer Smart City.