Probewohnen in der Zukunft – Wie Deutschlands Industrie klimaneutral werden kann

Tina Rose, Referentin Naturverträgliche Industriewende
NABU (Naturschutzbund Deutschland) e.V.

Deutschlands Industrie steht vor dem größten Umbau ihrer Geschichte. Doch was nach Strukturkrise klingt, kann zur Zukunftseinladung werden. Im Frühjahr 2025 hat der NABU mit dem Wuppertal Institut eine Studie vorgelegt, die zeigt, wie Stahl, Zement und Chemie klimaneutral und zukunftsfähig werden können – mit Rückenwind aus Gesellschaft und Politik.

Willkommen im Morgen
Stellen wir uns vor, wir machen eine Besichtigung: Wir betreten einen Industriestandort der Zukunft – emissionsfrei, energieeffizient, ressourcenschonend. Die Luft ist klar, die Anlagen leise, der Strom kommt aus erneuerbaren Quellen, die Materialien aus Recyclingprozessen. Willkommen beim Probewohnen in der klimaneutralen Industrie.
Noch ist dieses Szenario Vision. Doch es muss Wirklichkeit werden – und zwar zügig. Denn die Zeit drängt: Damit Deutschland bis 2045 klimaneutral ist, müssen die Emissionen aus Stahl-, Zement- und Chemieproduktion schnell, deutlich und dauerhaft sinken. Eine neue Studie von NABU und dem Wuppertal Institut zeigt: Das ist machbar, wenn wir heute handeln – entschlossen, gemeinsam und mit Weitblick.

Ein Zielbild, das Zukunft atmet
Die Studie „Klimaneutrale Industrie 2045“ entwirft ein konkretes Zielbild: eine Industrie, die sich an Kreisläufen orientiert, auf grüne Elektrifizierung setzt und gesellschaftliche Verantwortung übernimmt. Im Fokus: Stahl, Zement und Chemie stehen exemplarisch für den Wandel. Nicht als Problemfälle, sondern als Pioniere und als die größten Stellschrauben auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Die zentrale Botschaft: Transformation gelingt nicht durch Einzelmaßnahmen, sondern durch Systemwechsel. Und durch ein gemeinsames Verständnis darüber, wie wir morgen wirtschaften wollen.

Drei Schlüssel für das Türschloss zur Zukunft
1. Raum für Beteiligung schaffen:
Flächen, Rohstoffe, Infrastruktur Die Industrie der Zukunft braucht Platz – etwa für neue Werke und moderne Infrastruktur. Doch Flächen sind knapp, Ressourcen begrenzt. Deshalb müssen Nutzungskonflikte aktiv gestaltet werden – mit einem offenen Blick für Naturschutz,
Klimaschutz und Versorgungssicherheit. Nur wer rechtzeitig plant und offen kommuniziert, vermeidet spätere Blockaden.

2. Wandel ermöglichen: sozial und regional gerecht
Eine faire Transformation beginnt bei den Menschen. In den Regionen, in den Betrieben, in der Ausbildung. Der Umbau darf nicht Verlierende produzieren, sondern neue Perspektiven schaffen – durch gezielte Qualifizierung, Mitbestimmung und aktive Strukturpolitik. Der Weg in die Zukunft kann ein Aufbruch sein, wenn er getragen wird.

3. Klarheit schaffen: politisch führen, gemeinsam erzählen
Eine Industrie, die für die Zukunft gut aufgestellt ist, braucht Investitionssicherheit und die entsteht durch verlässliche politische Leitplanken. Die Studie fordert daher ein klares Bekenntnis: zu Klimaneutralität als Ziel, zur Elektrifizierung als favorisiertem Weg, zu Kreislaufwirtschaft als Prinzip. Genauso wichtig ist eine Erzählung, die verbindet, anstatt zu spalten. Denn Wandel braucht nicht nur Zahlen, sondern Geschichten.

Industrie als Möglichkeitsraum, nicht als Problemzone
Wer über industrielle Dekarbonisierung spricht, tut gut daran, nicht nur CO₂-Bilanzen zu analysieren, sondern auch Möglichkeitsräume zu sehen. Die Studie zeigt: Es gibt vielfältige Pfade, Technologien und Hebel. Aber es braucht mutige Entscheidungen, breite Allianzen und die Bereitschaft, alte Denkweisen hinter sich zu lassen.
Was wir brauchen, ist eine politische und gesellschaftliche Einladung zum Probewohnen in der Zukunft – mit offenen Türen und klaren Regeln.

NABU – Brückenbauer zwischen Natur, Industrie und Gesellschaft
Der NABU ist mit 960.000 Mitgliedern und Fördernden eine der größten und in der Fläche Deutschlands verankerten Natur- und Umweltschutzorganisationen. Seit über 125 Jahren engagiert sich der Verband für den Schutz unserer Lebensgrundlagen – von Artenvielfalt bis Klimaschutz.
Mit seinem industriepolitischen Ansatz bringt der NABU Umwelt- und Naturschutz mit Dialogfähigkeit und politischer Gestaltung zusammen. Die nun vorgelegte Studie ist Teil eines längerfristigen Vorhabens: dem Aufbau tragfähiger Allianzen für ein klimaneutrales Industrieland – mit und für die Gesellschaft.

Hinweis:
Die Studie ist abrufbar unter: Klimaneutrale Industrie 2045 – Wuppertal Institut, 2025 Mehr zum NABU-Ansatz für eine naturverträgliche Industrietransformation: Nachhaltiges Wirtschaften – NABU