Professorin Dr. Kerstin Schlögl-Flierl ist Inhaberin des Lehrstuhls für Moraltheologie (Theologische Ethik) an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Bio- und Beziehungsethik. Seit Mai 2020 ist sie eines von 26 Mitgliedern im Deutschen Ethikrat und Sprecherin der Arbeitsgruppe Klimaethik.
5 Fragen an… Prof. Dr. Kerstin Schlögl-Flierl
Warum beschäftigt sich der Deutsche Ethikrat gerade jetzt mit dem Thema Klimaethik?
Es geht vor allem um Fragen der Klimagerechtigkeit und der Klimaverantwortung in unseren Debatten. Die Initialzündung gab die Herbsttagung des Deutschen Ethikrates mit Schüler:innen im September 2022. Zum einen hatten wir mit dieser Gruppe Fragen der Pandemiebewältigung auf dem Schirm, zum anderen konnten die Schüler:innen für sie brennende Themen benennen. Da war die Klimagerechtigkeit ein heißes Eisen. Ein wichtiges Motiv, das Thema jetzt anzugehen, liegt auch in den bedeutenden gesundheitlichen Folgen des Klimawandels, die derzeit weltweit immer klarer zutage treten.
Philosophie als Disziplin haftet noch immer das Image des Elfenbeinturms an. In der Ethik geht es oft um ganz praktische, konkrete Fragen – und dennoch gilt der Anspruch, dass ethische Urteile einerseits auf konkrete Fragen angewandt, andererseits allgemein auf andere Fälle übertragbar sein sollen. Inwiefern spielt das im Bereich der Klimaethik eine Rolle?
Wenn es wie im Fall der Klimakrise um die Rettung der Menschheit geht, verlässt auch die Philosophie schon mal ihren Elfenbeinturm… Die Herausforderungen sind immens und erfordern auf allen Ebenen neue und gute Konzeptualisierung. Was versteht man nun genau unter Klimagerechtigkeit? Wie weit reicht meine Verantwortung? Wie steht es mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit international und der historischen Verantwortung? Und hier könnte man noch viel mehr Fragen anschließen. All das beschäftigt in herausfordernder Weise, aber manche Fragen wurden auch schon in anderen Bereichen der angewandten Ethik konkret beantwortet, wie beispielsweise Fragen des Tierwohls. Es geht uns darum, die Herausforderungen normativ zu durchdenken, um einen kohärenten Rahmen u.a. für rechtliche und ethische Überlegungen zu schaffen.
Lassen Sie uns etwas tiefer in den Inhalt gehen: Welche Konflikte und Fragestellungen diskutieren Sie, bzw. gilt es zu betrachten?
Eine Herausforderung in puncto Klimagerechtigkeit ist, dass es sich bei der Frage des Umgangs mit dem Klimawandel um ein Allmendeproblem handelt. Alle wollen und brauchen ein erträgliches Klima, aber die Reichweite und die Erfolgswahrnehmung einer eigenen Verhaltensveränderung im Zuge der Transformation hin zu klimabewusstem Handeln sind wenig auf der individuellen Ebene erfahrbar. Also warum sollte ich etwas tun, wenn ich – gefühlt – nichts ausrichten kann? Unsere Stellungnahme wird sich nicht nur an den Einzelnen richten, sondern auch an andere Akteur:innen, wie Staat und Gesellschaft, Politik usw., jedoch die gemeinsame Kraftanstrengung nicht verhehlen.
Klimagerechtigkeit wird somit intragenerationell (Was wollen wir den zukünftigen Generationen hinterlassen?) und sozial (also inner-gesellschaftlich) (Wie können die teuren Klimaschutzmaßnahmen finanziell für alle Bürger:innen je unterschiedlich abgefedert werden?) und international (Welche Einrichtung auf internationaler Ebene wäre zu empfehlen?) zu vermessen sein.
Sie erarbeiten mit der Arbeitsgruppe ,Klimaethik‘ derzeit eine Stellungnahme. Können Sie uns den Prozess beschreiben, insbesondere mit Blick darauf, welchen Einfluss die Stellungnahme nach Veröffentlichung haben kann und soll?
Die in der Stellungnahme enthaltenen Analysen und Schlussfolgerungen werden im Kreis aller Ratsmitglieder erarbeitet und abgestimmt, die Arbeitsgruppe formuliert diese Diskussionsergebnisse dann aus. Sie zielt eher darauf ab, einige Linien als normative Orientierungshilfen zu benennen, als Empfehlungen für konkrete Klimaschutzmaßnahmen abzugeben. Außer an Akteur:innen in der Politik richtet die Stellungnahme sich auch an die allgemeine Bevölkerung.
Zum Ende möchten wir gern wieder ganz weit hinauszoomen. Ohne den Ergebnissen vorgreifen zu wollen: Gibt es einen Ratschlag, eine Art Leitsatz für Organisationen sowie Privatpersonen für ethisch erlaubtes Verhalten vor dem Hintergrund klimaethischer Betrachtungen?
Wir sind ja noch im Abstimmungsprozess, deswegen kann ich nicht für den Rat insgesamt sprechen, aber würde von meiner Warte als Theologin und Ethikerin doch die notwendige sozial-ökologische Transformation der ganzen Gesellschaft nach vorne bringen wollen. Viele technische Möglichkeiten werden es uns hoffentlich erleichtern, auch zukünftig einen lebenswerten Planeten zu bewohnen, jedoch die reine Fixierung auf die Technik hilft nicht weiter, sondern wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Transformationsbewegung.