Klimadiskurs.NRW

5 Fragen an: Dr. Juliane Kronen


© Selina Pfrüner

Dr. Juliane Kronen arbeitete mehrere Jahre für die Boston Consulting Group, ist Vorstandsmitglied der Right Livelihood Award Foundation und seit 2011 Mitglied der Jury, die alljährlich die sogenannten Alternativen Nobelpreise verleiht. Gemeinsam mit ehemaligen Kollegen gründete sie 2011 mit der innatura gGmbH eine Plattform, die fabrikneue Sach­spenden bedarfsgerecht an gemeinnützige Organisationen vermittelt. Dr. Juliane Kronen ist Mitglied des siebenköpfigen Projektbeirats des KlimaDiskurs.NRW.


1. Sehr geehrte Frau Kronen, das Corona-Virus hat derzeit nicht nur den Alltag der Menschen, sondern auch die öffentliche Berichterstattung im Griff. Themen wie Klimaschutz und Energiewende sind zwar weiterhin wichtig, erscheinen aber weniger dringlich. Wie kann es gelingen, die insbesondere im vergangenen Jahr entfachte Dynamik in der Klimaschutzdebatte aufrechtzuerhalten?

Klimaschutz wird durch Corona nicht weniger wichtig – Corona zeigt aber, dass Menschen mit kurzfristigen, konkreten Bedrohungen anders umgehen als mit vermeintlich langfristigen. Es gibt aber gute Debatten, welche Gemeinsamkeiten die Klima- und Coronakrise haben – und welche Antworten globale Krisen erfordern. Wir verstehen alle, dass die nationalen Alleingänge, die wir bei der Bewältigung von Corona sehen, für den Klimaschutz völlig ungeeignet sind. Es ist gut, dass FFF weitergeht – neulich mit der größten Online-Demonstration aller Zeiten und in der EU auch weiterhin der „Green Deal“ auf der Agenda steht. Wenn wir erkennen, dass eine gemeinsame Ursache für beide Krisen die Vernichtung der natürlichen Lebensräume durch den Menschen ist, wird auch klar, dass aktiver Schutz von Lebensräumen auch die Gefahr zukünftiger Pandemien verringert.

2. Es mehren sich zurzeit die Stimmen, die die Gewährung staatlicher Hilfen und Konjunkturprogramme an Auflagen und Bedingungen im Klimaschutzbereich knüpfen wollen. Zum Auftakt des Petersberger Klimadialogs haben sich in einem Appell auch 60 große Unternehmen dahingehend geäußert. Die richtige Weichenstellung für mehr Klimaschutz oder verkennen solche Forderungen die existenzielle Not, in der sich insbesondere viele KMUs derzeit befinden?

Wenn wir den Zusammenhang oben erkennen, ist mehr Klimaschutz nach vorne zwingend notwendig. Eine Lockerung von Umweltauflagen im voraus, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, wie in den USA durch die EPA geschehen, ist das völlig falsche Signal. Corona bietet auch die Gelegenheit, die Kehrseiten der Globalisierung  zu erfahren. Ich bin überzeugt, dass nachhaltiges Wirtschaften und glaubwürdiges Engagement eines Unternehmens im Klimaschutz ein noch stärkerer Wettbewerbsfaktor wird als vor der Krise – wir sehen jetzt schon eine teilweise Rückverlagerung globalisierter Produktion. Allerdings hat man die Chance verpasst, in die bereits jetzt definierten Maßnahmen den Aspekt Klimaschutz aufzunehmen.

Was wir brauchen, bringt die Cradle to Cradle NGO auf den Punkt: „Das Geld aus dem Konjunkturprogramm kann nur einmal ausgegeben werden. Wenn wir die Wirtschaft „nach Corona“ wieder hochfahren, muss sie besser funktionieren als vorher – moderner, innovativer, gesünder, müllfrei und klimapositiv! Das Konjunkturprogramm ist eine Chance dafür, doch es muss eben an klare Innovationsvorgaben geknüpft werden. Statt also beispielsweise Abwrackprämien einzuführen, die alte Technologien künstlich am Leben erhalten, sollten wir Mobilität neu denken. Energie muss mit Solar- und Windkraftwerken gewonnen werden, bei denen hoher Wirkungsgrad und Kreislauffähigkeit zusammengehen. Dämmstoffe und Reifenmaterialien müssen nicht in erster Linie effizient oder langlebig sein, sondern vor allem biologisch abbaubar. Sonst verschärfen wir beim Lösen der einen Krise unweigerlich die Nächste.“

3. Geschäfte sind geschlossen, Reisen nur eingeschränkt möglich, größere Veranstaltungen noch auf längere Zeit untersagt – momentan müssen sich nahezu alle Menschen in Verzicht üben. Eine Erfahrung, die mit Blick auf die bevorstehende klima- und umweltverträgliche Transformation unseres Energie- und Wirtschaftssystems hilfreich ist?

In der aktuellen Situation wird uns bewusst, was uns wirklich wichtig ist. Und wir können reflektieren, in welchen Bereichen wir wieder auf „Vor-Corona“-Niveau wollen, und welche – z.T. improvisierten – Lösungen aus dem Lockdown wir behalten wollen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass viele Unternehmen den digitalen Austausch (z.B. Videokonferenzen) in viel stärkerem Umfang beibehalten wollen – der Preis, den man für eine Reise um die halbe Welt zahlt, um wenige Stunden mit KollegInnen in einem Konferenzraum zu sitzen, werden viele nicht mehr zahlen wollen. Die Reisegewohnheiten werden also hoffentlich weniger klimaschädlich bleiben. Der erzwungene Verzicht eröffnet aber auch neue Freiheiten und Schönheiten: Wir erleben Dinge, die wir vergessen haben, neu, wie regionale Lebensmittel, Urlaub in der Heimat. Den bewussteren Blick auf unseren Konsum sollten wir beibehalten. Wenn ich viel im Hause bleiben muss, wird mir die ökologische Verträglichkeit meines Umfeldes bewusst und wichtiger. Eine Zäsur wie die Corona-Krise kann uns helfen, den Fokus von quantitativem Wachstum auf qualitatives Wachstum zu verlagern.

4. Im KlimaDiskurs.NRW kommen Akteure aus den unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Bereichen von Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik zusammen, um gemeinsam und auf Augenhöhe an Lösungen für mehr Klimaschutz und den Erhalt des Industrie- und Wirtschaftsstandort zu arbeiten. Sie sind Mitglied des neu gegründeten Beirats, der dem Verein seit Jahresbeginn beratend zur Seite steht. Was hat Sie dazu bewogen?

Umsetzbare Lösungen müssen die Perspektiven aller beteiligten Akteure berücksichtigen und erfordern meist Kompromisse von allen Seiten. Dabei sind Kenntnis und Akzeptanz anderer Sichtweisen der notwendige erste Schritt.


„Das Konzept des KlimaDiskurs.NRW ist zentral für die Erarbeitung wirklich tragfähiger Lösungen, die nicht im konzeptionellen Ungefähr bleiben“


Das Konzept des KlimaDiskurs.NRW, Akteuren aus den verschiedendsten Bereichen einen geschützten Raum für den Dialog auf Augenhöhe bereitzustellen, ist zentral für die Erarbeitung wirklich tragfähiger Lösungen, die nicht im konzeptionellen Ungefähr bleiben, sondern im konkreten Wirtschaften umgesetzt werden können und so Realitäten positiv verändern. Diese Rolle des KlimaDiskurs.NRW finde ich faszinierend – und bringe daher gerne meine Erfahrungen als Sozialunternehmerin, aber auch aus meiner Arbeit für den Alternativen Nobelpreis ein.

5. In der Corona-Krise wird besonders oft der Begriff der „Solidarität“ bemüht. Mehrere Unternehmen haben bereits Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel und weitere medizinische Produkte gespendet. Mit der innatura gGmbH sind Sie Geschäftsführerin einer Plattform, die fabrikneue Sach­spenden an gemeinnützige Organisationen vermittelt und so auch zur Ressourcenschonung beiträgt. Erleben Sie in Ihrer Arbeit seit Ausbruch des Corona-Virus eine neue Welle der Solidarität?

Wir erleben eine signifikant erhöhte Spendenbereitschaft von Unternehmen aus mehreren Gründen – zum einen, weil sie konkret Menschen mit ihren Produkten helfen wollen und entsprechende Maßnahmenpakete geschnürt haben, zum anderen, weil insbesondere bei Premiummarken durch die Ladenschließungen und geänderte Konsumgewohnheiten sich jetzt schon Übermengen abzeichnen. Zugleich steigt die Nachfrage nach unseren Produkten enorm – BewohnerInnen müssen in Wohneinrichtungen bleiben, z.T. in interner Quarantäne. Und wir sehen täglich Innovationen im gemeinnützigen Sektor, die viel Kreativität und Solidarität zeigen– neue Initiativen, die die Versorgung von Randgruppen sicherstellen und dazu Produkte benötigen; die „Clowns to go“, bei denen Familien, denen in der Quarantäne die „Decke auf den Kopf“ zu fallen droht, Haustürbesuche von ehrenamtlichen Clowns bestellen können, die den Kindern Bastelmaterial und Spielzeug kontaktlos mit dem „Quarantänepaddel“  überreichen; zahlreiche kreative Projekte im bundesweiten Hackathon „WirvsVirus“.

Besondere Sorge macht uns mittelfristig allerdings die Zukunft der Zivilgesellschaft, insbesondere der vielen kleinen gemeinnützigen Organisationen, denen Spendengelder ausfallen, die kaum eigene Einkünfte erzielen können. Zugleich sind die meisten Fördermaßnahmen z.B. für gemeinnützige Organisationen und Start-ups nicht zugänglich – obwohl viele Lösungen zur Krise genau aus diesem Sektor kommen. Hier müssen Bund und Länder dringend nacharbeiten.

Im Übrigen soll die Finanzverwaltung endlich die unfaire Besteuerung von Sachspenden beenden, die es für Unternehmen teurer macht, Solidarität durch Produktspenden zu zeigen, statt diese Produkte zu entsorgen. Dadurch werden falsche Anreize geschaffen, die wir uns aus gesellschaftlicher und ökologischer Perspektive nicht leisten können – es entsteht unnötiger Abfall, und die Produkte fehlen im sozialen Sektor. Langfristig benötigen wir eine rechtssichere, rechtskonforme Lösung, damit Unternehmen sich mehrheitlich zu Spenden entschließen. Ein frisch vom bevh (Bundesverband e-commerce und Versandhandel) veröffentliches Gutachten zeigt einen gangbaren Weg zu steuerfreien Sachspenden auf, für dessen Umsetzung es nur noch eines bundesweiten Erlasses bedarf.

Herzlichen Dank!